Mit Pirlo und Pyro

GRUPPE A Zum Spiel gegen Italien sind in Posen tausende kroatische Fans unterwegs. Nach Charkow, sagt einer, wäre er nicht gefahren. Vor Polen hat er aber keine Angst

AUS POSEN ULI RÄTHER

Posen ist am Tag des Adriaderbys zwischen Kroatien und Italien eingetaucht in die blau-weiß roten Farben der Kroaten. Ob aus voll bemannten Pkws, aus pickepackevollen Straßenbahnen zum Stadion oder aus Hotelzimmerfenstern: Überall weht einem das charakteristische rot-weiße Schachbrettmuster entgegen. Das Häuflein Tifosi in der Stadt versammelt sich dagegen artig am Sheraton-Hotel, um einen Blick auf ihre Idole zu erheischen, wenn diese irgendwann die fünf Meter zwischen Hoteleingang und Mannschaftsbus zurücklegen werden.

Auch die überall präsenten Freiwilligen bestätigen uns den Eindruck, dass die Kroaten eindeutig das Sagen beziehungsweise das Singen haben in der Stadt. Und sie wissen auch zu berichten, dass es vier Tage vorher, beim ersten Spiel in dieser Gruppe zwischen Kroatien und Irland, genau umgekehrt war: Da dominierten auf eindrucksvolle Weise die sehr lauten Iren das Geschehen.

Es muss dann eine Art Kampagne in Kroatien gegeben haben, denn danach gesellten sich zu den bereits vorhandenen Landsleuten in Posen immer mehr hinzu. Sie kamen in Sonderzügen, Bussen und Privatautos, auch viele mit deutschen Kennzeichen. Und die Eintrittskarten? „Kein Problem, es sind unheimlich viele Karten auf dem Markt,“ sagt Nico, der in der Nähe von Frankfurt am Main lebt und sich spontan mit zwei Kumpels auf den Weg gemacht hat. „Wir haben unsere Tickets nach dem Sieg gegen Irland sofort in Deutschland übers Internet gekauft, fast zum Normalpreis, aber auch hier in Posen wird unheimlich viel angeboten.“

Und, keine Angst um das Auto? „Nein, alte Kiste. Nach Charkow wären wir damit nicht gefahren, aber nach Posen wollte ich schon immer mal. Bei Lech Posen spielten nämlich auch schon Kroaten.“ Und tatsächlich – wider den Geist des langfristigen Uefa-Ticket-Managements – hat Kroatien an diesem Tag im Städtischen Stadion zu Posen ein Heimspiel.

Gefühlte zwei Drittel der Zuschauer unterstützen das Team von Trainer Slaven Bilic, es gibt eine Choreografie mit kroatischer Riesenfahne, und sogar einige böse Ultras von der schwarz gekleideten Fraktion sind da, um während des Spiels Pyro aufs Spielfeld zu schmeißen, die im Fernsehen zu sehen sind.

Dagegen wirkt das auf einer halben Tribünenlänge konzentrierte Häuflein Tifosi wie eine Kaffeefahrtgesellschaft, die man nach zwei Stunden Heizdeckenpromo mit einem Stadionbesuch belohnt hat. Der kroatischen Pyrotechnik haben die Italiener allerdings fußballerische Pirlotechnik entgegenzusetzen, so dass nach fantastischem Freistoßtor von Mittelfeldspieler Andrea Pirlo kurz vor der Halbzeit die Stimmung bei den Kroaten etwas gedrückt ist.

In den Katakomben des Stadions steht Stipe, der in einer Art Burka aus zwei Kroatienflaggen gehüllt ist und sein iPhone bearbeitet. Seine Augen leuchten vor Freude über die Frage, was die kroatischen Fangesänge textmäßig eigentlich so zu bieten haben. Sofort stimmt er an: „… Volim Hrvatsku… volim… this means: I love you, Croatia.“ Dann singt er den Anfang eines Liedes, das während der ersten Halbzeit durchs Stadionrund hallte, und will es übersetzen, und überlegt, und druckst, rollt mit den Augen, und sagt schließlich resigniert: „Fuck, it sounds so stupid in other languages.“

Sein Freund Ante kommt bepackt vom Bierstand zurück und hilft, weniger beklommen: „Ach, das Vaterland erhebt sich auf den Schwingen des Adlers zum Himmel empor oder so ähnlich …“, und drängt auf die Rückkehr zu den Plätzen. Sie versichern, dass keine Schmähgesänge auf Italien im Repertoire seien, alles nur Huldigungen an das eigene Land und die Mannschaft. Und auf die Trinkfestigkeit Ihrer Fans.

Hat ja auch geholfen, die Kroaten schaffen noch den Ausgleich und sind nun stolz und skeptisch zugleich. Skeptisch im Hinblick auf den Einzug ins Viertelfinale, denn im nächsten Spiel wartet mit Spanien ein sportlich ganz anderes Kaliber, und das leider nicht im „kroatischen“ Posen, sondern an der Ostsee in Danzig.

Ob man dort noch einmal eine ähnlich Mobilisierung der Fans erreichen wird, ist fraglich. Posen wird dann wieder in der Hand der noch punktlosen Iren sein, deren italienischer Nationalcoach Giovanni Trapattoni sich für das Spiel gegen sein Heimatland bestimmt noch etwas Besonderes einfallen lassen will. Den Kroaten wäre es recht.