Rot-Grün putzmunter

Direkt vor der Vertrauensfrage gewinnt die Regierung noch mal zahlreiche Abstimmungen im Bundestag. Nur Gesetz gegen Lohndumping vertagt

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Business as usual: Wer gestern als Besucher in den Bundestag kam, erhielt den Eindruck, als ginge eine ganz normale Regierungsmehrheit ihren ganz normalen Geschäften nach. Einen Tag vor der heutigen Vertrauensfrage des Kanzlers, die Gerhard Schröder verlieren will, um Neuwahlen herbeizuführen, brachte Rot-Grün bei zahlreichen Abstimmungen noch einmal ohne Probleme Mehrheiten zustande.

So verabschiedete der Bundestag unter anderem wie geplant das Gesetz zur Veröffentlichung von Managergehältern. Damit werden die Vorstände von Aktiengesellschaften dazu gezwungen, künftig ihr genaues Jahresgehalt zu nennen. Betroffen sind insgesamt rund 1.000 Unternehmen. SPD, Grüne und CDU/CSU stimmten zu. Auch im Bundesrat wird ein Ja erwartet.

Ebenfalls unter Dach und Fach gebracht werden sollte eine Änderung des Abgeordnetengesetzes mit neuen Regeln für Nebentätigkeiten. Damit wird Abgeordneten verboten, Zuwendungen ohne Gegenleistung anzunehmen. Außerdem wird ausdrücklich festgestellt, dass das Abgeordnetenmandat im Mittelpunkt der Tätigkeit stehen muss. Bislang müssen Parlamentarier ihre Nebeneinkünfte erst ab einer bestimmte Höhe und nur dem Bundestagspräsidenten anzeigen. Künftig müssen die Einkünfte veröffentlicht werden. Andernfalls drohen Geldstrafen. „Meine Erwartung ist, dass der Bundesrat keinen Einspruch einlegt“, sagte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen.

Umgekehrt zeigte sich Rot-Grün gestern durchaus in der Lage, geschlossen Nein zu sagen: Eine Initiative des Bundesrats für eine gemeinsame Antiterrordatei der Sicherheitsbehörden wurde von der rot-grünen Bundestagsmehrheit abgelehnt, weil die Unionswünsche den Anforderungen des Quellen- und Geheimhaltungsschutzes nicht genügten. Also alles ganz normal? Rot-Grün voll handlungsfähig? Wieso soll der Bundespräsident eigentlich den Bundestag auflösen, wenn die Regierung ihre Mehrheit bis zum letzten Tag mühelos zustande bringt? Auf entsprechende Fragen sagte SPD-Chef Franz Müntefering, man wisse doch, „dass es eine andere Dimension ist, um die es da [bei der Vertrauensfrage] geht.“ Auf die Idee mit den Neuwahlen sei man gekommen, weil nach der Agenda 2010 „viele, viele Wahlen verloren“ gingen und der Kanzler eine neue „Legitimation durch die Menschen“ für seine Politik anstrebe. Ob diese Begründung reicht? Wohl kaum.

Vorsichtshalber nahm Rot-Grün denn auch wenigstens die für gestern geplante letzte Lesung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gegen Lohndumping von der Tagesordnung. Eigentlich wollte Rot-Grün die am Bau gültige Regelung für Mindestlöhne auf andere Branchen ausweiten. Anders als bei den anderen Abstimmungen des Tages, bei denen die Anwesenheit einer Hand voll von Abgeordneten genügte, hätte Rot-Grün dafür aber die so genannte Kanzlermehrheit gebraucht, also ein Ja von mindestens 301 der 601 Abgeordneten. Die Zustimmung fast aller rot-grünen Parlamentarier zu organisieren, schien der Koalition wohl doch zu riskant. Schließlich will Schröder ja heute mit der Niederlage bei der Vertrauensfrage dokumentieren, dass er genau diese Mehrheit nicht mehr habe. Dann also lieber kein Entsendegesetz mehr.