„Wir stehen unter Beobachtung“

ENERGIE Die Genossenschaft BürgerEnergie will das Stromnetz in Bürgerhand bringen

■ 26, ist Mitglied im Vorstand der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin.

INTERVIEW SEBASTIAN ERB

taz: Frau Neumann-Cosel, Vattenfall ist ein Riesenkonzern, der viel Erfahrung damit hat, ein Stromnetz zu betreiben. Jetzt wollen Sie als kleine Genossenschaft das Netz übernehmen. Ist das nicht größenwahnsinnig?

Luise Neumann-Cosel: Das finden wir nicht. Stromnetze gehören nicht in Konzernhände, sondern in Bürgerhände. Wenn man sich überlegt, wie viele Berliner es gibt – warum sollten die nicht gemeinsam das Stromnetz besitzen? Für den technischen Betrieb holen wir uns natürlich die nötigen Partner. Und wir wollen auch gerne die Mitarbeiter übernehmen, die jetzt im Netzbetrieb arbeiten.

Was haben die Bürger davon, Genossen zu werden?

Zum einen können sie mitentscheiden über das Stromnetz und darüber, wie in Zukunft Energiepolitik gemacht wird, dass die Energiewende gefördert wird. Und jeder, der mitmacht, bekommt auch einen Teil des Gewinns ausgeschüttet.

Als Netzbetreiber müssten Sie allerdings jeden Strom durchleiten, auch wenn er mit Kohle oder Atomkraft produziert wurde. Der Einfluss auf die Energiewende ist also begrenzt.

Wenn wir umsteigen wollen auf dezentrale Erzeugung und erneuerbare Energien, haben Verteilnetze trotzdem eine Schlüsselrolle. Sie müssen so umgebaut werden, dass möglichst viel Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist werden kann. Und wir müssen die Netzlasten so steuern können, dass eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich ist. Zudem wollen wir unsere Gewinne in Ökostromerzeugung, Energieeffizienz- und Einsparprogramme investieren.

Sollte Vattenfall das Netz mit all seinen Leitungen und Umspannwerken abgeben müssen, ist eines sicher: Es wird teuer. Der Konzern spricht von rund 3 Milliarden Euro. Wie wollen Sie so viel zusammenbekommen?

Der Preis, von dem Vattenfall spricht, ist wirklich nicht realistisch. Wir gehen davon aus, dass es sich beim Verkaufspreis um den Ertragswert handeln wird. Der bewegt sich eher zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro. Das ist immer noch viel, aber man braucht vielleicht nur 30 bis 40 Prozent Eigenkapital. In kurzer Zeit haben wir schon 2,2 Millionen Euro gesammelt. Wir sind froher Hoffnung, dass wir die Summe stemmen können.

■ Am heutigen Montag findet um 19 Uhr im taz-Café eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Berlin unter Strom – wem gehört das Netz“ statt. Podiumsgäste sind: Daniel Buchholz (energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus), Erik Landeck (Geschäftsführer Vattenfall Europe Distribution Berlin GmbH), Luise Neumann-Cosel (BürgerEnergie Berlin) und Stefan Taschner (Kampagnenleiter Berliner Energietisch). Eintritt frei. (se)

Das Bündnis Berliner Energietisch fordert die Rekommunalisierung des Stromnetzes. Wie gehen Sie mit dieser Konkurrenz um?

Den Energietisch sehen wir überhaupt nicht als Konkurrenz, sondern als gute Ergänzung. Klar ist, dass wir beide an ganz vielen Stellen ähnliche Ziele haben. Eine Kombination aus öffentlicher Hand und unserer Genossenschaft ist im Prinzip das optimale Modell.

Welche Reaktionen haben Sie von Vattenfall bekommen?

Wir merken, dass wir unter Beobachtung stehen. Ansonsten hat der Betriebsrat von Vattenfall uns angesprochen; mit ihm werden wir bald Gespräche führen. Unser Genossenschaftsmodell kann auch ein Weg sein, wie man Betriebe stärker in Belegschaftshand bringt.