„So leicht wird man Julia Timoschenko nicht brechen können!“

KNAST Der grüne EU-Abgeordnete Werner Schulz über seinen Besuch bei der ukrainischen Oppositionsführerin und den sinnfreien Boykott deutscher Politiker

■ 62, einst DDR-Bürgerrechtler, Politiker von Bündnis 90/Die Grünen, seit 2009 Abgeordneter des EU-Parlaments, ist Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten.

taz: Herr Schulz, Sie hatten vergangenen Woche Gelegenheit die inhaftierte Julia Timoschenko im Eisenbahnerkrankenhaus von Charkow zu besuchen. Wie geht es der ukrainischen Oppositionsführerin?

Werner Schulz: Sie ist sichtbar geschwächt, aber dennoch sehr aufrecht. Das hat mich sehr beeindruckt. Auch wenn sich Präsident Wiktor Janukowitsch das offensichtlich vorgenommen hat: Timoschenko wird man so leicht nicht brechen können. Sie kämpft sogar noch vom Krankenbett aus und hat es geschafft, die Opposition zu einigen. Zehn Parteien haben sich zusammengeschlossen, um bei den Parlamentswahlen im Oktober anzutreten. Julia Timoschenko wird auf Platz eins der Liste gesetzt. Sie ist weniger mit sich selbst beschäftigt, es geht ihr vor allem um die demokratische Entwicklung der Ukraine. Das ist es auch, was sie aufrecht hält.

Julia Timoschenko war ja immer gegen einen Boykott der EM aus politischen Gründen. Ist das jetzt immer noch so?

Absolut. Sie ist ja diejenige, die sich 2007 als Ministerpräsidentin mit für die Vergabe der Meisterschaften an die Ukraine eingesetzt hat. Timoschenko findet es richtig, dass wir uns gegen einen Boykott der EM ausgesprochen haben und Präsident Janukowitsch Paroli bieten.

Das haben Sie mit Ihrer Aktion im Charkower Stadion versucht. Dort haben Sie Transparente entrollt mit der Forderung nach Freilassung aller politischen Gefangenen. Wie waren die Reaktionen?

Es gab überwiegend freundliche Zustimmung. Nur einige Ukrainer waren empört. Mit denen haben wir dann darüber diskutiert, dass Sport und Politik nicht zwei getrennte Welten sind.

Bislang drücken deutsche Politiker ihren Protest durch Abwesenheit aus …

Was ist das denn für ein Protest, nicht dort hinzufahren! Oder zu sagen: Wir protestieren nur in der Vorrunde. Und wenn dann die deutsche Mannschaft ins Endspiel kommt, dann fährt die Kanzlerin hin. Das ist völlig daneben und undurchdacht.

Sie haben sich auch noch mit weiteren führenden Oppositionellen getroffen. Wie ist deren Stimmung?

Optimistisch. Der Zusammenschluss ist eine große Leistung. Er erfolgte, weil die Beteiligten den Marsch der Ukraine in eine neue Despotie verhindern wollen. Die Opposition glaubt, die Mehrheit bei den Wahlen erreichen zu können. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Europäische Union jetzt darum kümmert, dass der Wahlkampf aufmerksam beobachtet wird und die Wahlen korrekt ablaufen.

Begreift die Opposition die EM als Chance für sich?

Sie freuen sich über das Ereignis und hoffen, dass im Ausland genauer hingeschaut wird, was in der Ukraine passiert. Bedauert wird, dass die Politiker ausbleiben und durch ihre Abstinenz nur einen diffusen Protest zum Ausdruck bringen, der der Opposition rein gar nichts nützt.

Wer wird Europameister?

Ich hoffe, dass Deutschland ins Endspiel kommt, unsere deutschen Politiker nach Kiew reisen und auf der Tribüne deutlich machen, dass sie von diesem Regime nichts halten.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL