Buchbesprechung

Beruf Bergbauer

Welcher moderne Mensch kann heutzutage noch sach- und fachgerecht das Tier töten, das er zum Mittagessen verspeisen will? Wie bringt man angst- und schmerzfrei einen Hasen um? Oder eine Gans? Schwierig. Ein moderner Mensch lässt töten, aber ein richtiger Bauer kann es, und er macht es. Und vor allem: Er denkt nicht darüber nach, weil es für ihn einfach normal ist. John Berger hat darüber nachgedacht. Seine Geschichten aus dem Leben von Bergbauern in den französischen Haute Savoyen umkreisen immer wieder die Themen Tod und das Töten. Sie bringen bäuerliches Leben zum Sprechen, das uns ziemlich fremd geworden ist. Es ist ein Leben in den ewig wiederkehrenden Lebens- und Jahreszeiten-Zyklen, und es ist randvoll von Arbeit, die selbstverständlich gemacht wird, weil sie zu tun ist, wenn man es mit der Natur zu tun hat. Überleben wollen ist hier das Stichwort. In der Natur zu überleben erfordert praktische Vernunft. Manchmal auch Widersinn, Sturheit, manchmal Schläue und manchmal viel Schnaps, um sich anders und glücklich zu fühlen. Entscheidend aber ist, dass die bäuerliche Wirtschaftsweise in den vergangenen Jahrhunderten unschätzbare Kenntnisse und Fertigkeiten hervorgebracht hat. Gefragt, ob er durch seine Literatur die Erinnerung an eine verschwindende Lebensform wach halten möchte, antwortete Berger: Manche seiner Geschichten könnten auch als Beispiele gelesen werden, wie man vielleicht leben könnte. Fortschrittspessimismus angesichts der atomaren Bedrohungen in den frühen Fünfzigerjahren führte den Londoner Künstler und Zeichenlehrer John Berger in die Welt der Bergbauern. Hier wurde er zum Schriftsteller. Als die Geschichten vom Land 1979 erstmals herauskamen, beschrieben sie praktisch schon ein verflossenes Zeitalter. Diesen Menschen in ihrer so genannten Rückständigkeit Würde zuzuschreiben ist weniger Kalkül als vielmehr Bergers ureigenes Anliegen. Und so lesen sich die Geschichten und Gedichte aus der Bergwelt denn auch: ernst und schwer beeindruckend. CHRISTEL BURGHOFF

John Berger: „SauErde. Geschichten vom Lande“. Fischer TB (2000), 240 Seiten, 8,90 €