Blair bringt EU stürmische Zeiten

Britischer EU-Ratsvorsitz beginnt im Zeichen der gescheiterten EU-Verfassung sowie des ungelösten Streits um die Finanzierung und Ausrichtung des EU-Haushalts. Gipfel im Herbst soll „Einsatz und Energie“ zwecks Klärung bringen. Blair: „Schwierige Zeit“

LONDON ap/afp/rtr ■ Großbritannien hat gestern turnusgemäß die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernommen. Mitglieder der EU-Kommission reisten nach London, um mit Premierminister Tony Blair über die Aufgaben der kommenden sechs Monate zu beraten. Auf einer Pressekonferenz sagte Blair, angesichts der Verfassungskrise solle die EU bei einem Herbstgipfel beraten, wie dem europäischen Projekt „mit Einsatz und Energie“ weitergeholfen werden könne. Mit Blick auf die im Juni gescheiterten Verhandlungen über die mittelfristige Finanzplanung und den Zustand der Verfassung sagte Blair, dass die EU eine „schwierige Zeit“ durchmache.

Der Herbstgipfel ist bislang für den 27. und 28. Oktober in Brüssel geplant. Eine Bestätigung des Termins gab es in London zunächst nicht. Für den Gipfel werde die EU-Kommission einen Vorschlag darüber vorlegen, wie das europäische Sozialmodell angesichts der Herausforderungen der Globalisierung erhalten werden könne, erklärte der britische Premier.

Blair will außerdem bis Dezember versuchen, einen Kompromiss im Streit um die mittelfristige Finanzplanung zu erzielen. Die Chancen gelten aber als gering, da zwischen Großbritannien und Frankreich keine Einigkeit über die Zukunft der Agrarsubventionen und des so genannten Britenrabatts auf den britischen Beitrag zum EU-Haushalt besteht. An dieser Frage war der letzte EU-Gipfel Mitte Juni gescheitert. „Wir werden unser Bestes geben, um Fortschritte zu machen und eine Einigung zu erzielen“, sagte Blair dazu gestern. Ob dies aber gelinge, „das weiß ich nicht und das kann heute auch niemand wissen“.

Blair verlangt eine umfassende Reform des EU-Haushalts als Bedingung für eine Erhöhung der britischen Nettobeiträge. Vor allem will Blair mittelfristig drastische Kürzungen im EU-Agrarhaushalt durchsetzen. Das dann frei werdende Geld soll in Bildung, Forschung und Entwicklung investiert werden. Besonders Frankreich wehrt sich als größter Nutznießer der Brüsseler Agrarbeihilfen dagegen.

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und Straw machten nach einem Treffen deutlich, dass sie sich in den nächsten sechs Monaten für den Friedensprozess im Nahen Osten einsetzen wollen, für die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm und den Wiederaufbau Iraks. Weiterer Schwerpunkt der britischen Präsidentschaft ist die Liberalisierung des Dienstleistungsmarkts und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Großbritannien übernimmt den Vorsitz der EU-Staaten inmitten einer schweren Führungskrise. Die Ablehnung der EU-Verfassung durch Frankreich und die Niederlande sowie die angestrebten Neuwahlen in Deutschland schwächen die traditionellen Kernländer der EU.