Da geht noch mehr
Lukas Podolski

ZWISCHENBILANZ Von spielerischer Leichtigkeit ist bei den Deutschen in der Vorrunde wenig zu sehen, dafür beeindrucken sie mit kompaktem und effizientem Systemfußball. Lahm, Müller und Özil sind noch nicht in Topform. Der beste Spieler ist Sami Khedira VON MARKUS VÖLKER

Machte gegen Dänemark sein 100. Länderspiel, hat also schon etwas von einem Veteran – und spielt manchmal auch so. Dabei ist Prinz Poldi erst 27 Jahre alt. Sein größtes Defizit: die Positionstreue. Podolski verharrt gern auf bekanntem Terrain, hat auch nichts für große Experimente übrig. Er müsste öfter mal den Flügel wechseln und nicht immer nur links herumtapern. Offensiv zu schwach. Wo sind seine Flanken, wo die strammen Schüsse? Ein Tor hat er immerhin gemacht.

Holger Badstuber

Zeigt Schwächen im Aufbauspiel. Schiebt meist nur den Ball zu Mats Hummels rüber. Sah in Kopfballduellen gegen den Dänen Nicklas Bendtner nicht gut aus, spielt aber insgesamt ein gutes Turnier. An Linksfuß Badstuber kann man am deutlichsten sehen, was Coach Jogi Löw damit meint, wenn er sagt, die Mannschaft sei reifer geworden. Aus einem linkischen Jungprofi, der am liebsten jedes Mikro gemieden hätte, ist ein Kicker geworden, der Verantwortung übernehmen will.

Jérôme Boateng

Beeindruckend sind vor allem seine klunkerbesetzten Kopfhörer. Fing sich in den ersten beiden Partien zwei Gelbe Karten und musste gegen Dänemark pausieren. Weil Löw nichts von Boatengs Gina-Lisa-Affäre gehalten und Lars Bender als Ersatz gut gespielt hat, könnte es passieren, dass Boateng keine Einsatzzeit mehr bekommt bei dieser Europameisterschaft. Boateng ist robuster als Bender. Bender spielt freilich dynamischer. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Mats Hummels

Hatte Glück, dass er in der Innenverteidigung für Per Mertesacker eingesetzt wurde. Und zeigt durch seine lässiges, souveränes Spiel, dass das berechtigt war. Hummels will von hinten aus gestalten, hat eine gute Spieleröffnung und initiiert Vorstöße ins Mittelfeld. Mit 23 ist Hummels schon so abgezockt wie ein Carles Puyol, dabei macht es keinen Unterschied, ob er in einer Runde mit Journalisten sitzt oder vor 80.000 Zuschauern kickt: Hummels ist immer tiefenentspannt.

Toni Kroos

Spielt die Rolle des Lückenbüßers. Kroos ist damit nicht zufrieden. Löw auch nicht, kann es aber nicht ändern. Ist fürs Team aber nicht weiter schlimm, denn Kroos kann zwar wie Özil oder Schweinsteiger den genialen Pass spielen, verschleppt aber oft auch das Tempo.

Sami Khedira

Insgesamt der beste deutsche Spieler bei der EM. Unheimlich robust und zweikampfstark. Ist überall auf dem Platz zu finden, rechts, links, zentral, vor der Abwehr. Scheint die hohe Kunst der Bilokation zu beherrschen. Verbesserungswürdig: der Zug zum Tor und der Abschluss.

Bastian Schweinsteiger

Gab zwei Torvorlagen im Spiel gegen Holland. Zeigt aufsteigende Form, war aber gegen Dänemark zu defensiv orientiert. Stopft viele Löcher und spielt insgesamt wie ein Leader. Nutzt das Turnier, wie alle Bayern-Spieler, zur Dahoam-Therapie. Klappt bisher hervorragend.

André Schürrle

Unglaublich schnell, agil und offensivstark. Ein echter Podolski-Ersatz, der allerdings erst einen 30-Minuten-Einsatz im Spiel gegen Dänemark hatte. Hohe Spielintelligenz. Könnte Poldi bald ablösen. Aber vielleicht noch nicht bei dieser Europameisterschaft.

Joachim Löw

Vollbringt wahre Wundertaten. Ist live im deutschen Fernsehen, obwohl er gar nicht live drauf ist. Auch wenn seine Augenringe jetzt wieder größer werden: Wir sehen den entspanntesten Jogi Löw, den es je gegeben hat. Das ist gut so, denn heutzutage wird man mit einem Muffelkopf als Trainer nicht Europameister.

Manuel Neuer

Bisher fehlerfrei, bekam aber auch nicht viel zu tun. Und das ist Neuers Problem: Die Unterbeschäftigung liegt ihm nicht wirklich. Er ist ein Keeper, der gefordert werden will, und ist deswegen tendenziell fehleranfälliger als früher. Gewagt war etwa sein Ausflug aus dem Strafraum im Spiel gegen Dänemark. Ging aber noch mal gut.

Miroslav Klose

Kommt stets in den letzten 20 Minuten für Gomez – und das ist kein Gnadenakt des Trainerteams für einen alternden Mann, sondern pure Berechnung. Denn Klose ist immer noch ein Klassestürmer und im Kombinationsspiel sogar besser als Gomez. Vorbereiten kann Klose auch, und sowieso gilt auch für ihn: immer für ein Tor gut.

Mesut Özil

Nein, es ist definitiv noch nicht das Turnier des Spielmachers von Real Madrid. Özil ist im Formtief, spielt allenfalls solide, hat nur eine Torvorlage gegeben und kaum geniale Momente gehabt. Die Fans erwarten mehr von ihm. Der Spanier David Silva hat schon drei Assists auf seinem Konto. Das muss Özils Maßstab sein.

Philipp Lahm

Macht irgendwie auch mit, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck. Lahm rennt zwar viel und ist das, was man wuselig nennt, aber offensiv bringt er zu wenig, spielt viele Alibi-Pässe und scheut das Risiko. Hatte große Konditionsprobleme im Spiel gegen Portugal, wirkt zudem in der Mixed Zone immer schlecht gelaunt, kann es sich als Kapitän aber nicht leisten, einfach durchzurauschen wie ein Özil. Muss sich steigern.

Mario Gomez

Hat nur viermal direkt aufs Tor geschossen oder geköpft und drei Treffer erzielt. Komischerweise wurde Gomez nach Spiel eins für nicht startelftauglich gehalten, aber er schlug zurück. Musste für seine Verhältnisse bisher viel für die Defensive tun, brauchte daher auch längere Ruhepausen. Hat oftmals keine Bindung zum Spiel. Aber ist immer für ein Tor gut. Und hat nach Aussage von Kennern die netteste Spielerfrau.

Lars Bender

Die Trainer loben seine „Polyvalenz“: In Leverkusen kickt er im Mittelfeld, im Nationalteam hinten rechts. Und beides klappt gut. Kam nach zwei Kurzeinsätzen im dritten Spiel für den gelb gesperrten Boateng ins Team und machte gleich ein wichtiges Tor. Im Dänemark-Spiel hat man zudem gesehen, was es bringt, frisch von der Bank zu kommen. Benders Mitspielern stecken jetzt drei Hitzespiele in den Knochen, Bender erst eins.

Thomas Müller

Bringt seinen Trainer mitunter zur Verzweiflung. Etwa, wenn Müller einen Pass ins Nichts spielt oder den Ball gefährlich im Mittelfeld vertändelt. Aber so schlecht sind die Auftritte des Außenstürmers gar nicht, denn er vollbringt leichtathletische Großtaten, muss auf seiner Seite mächtig ackern. Wir haben es zwar nicht mit dem Thomas Müller der WM 2010 zu tun – aber der jetzige Müller ist immer noch gut genug für die erste Elf.