Wenn niemand hinsieht…

… werden Polizisten bei Castordemos auch mal gewalttätig. Sind Zuschauer dabei, halten sie sich zurück. Dieses Fazit zieht das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ aus dem November-Protest

von Reimar Paul

Bei ihrem jüngsten Einsatz gegen Castorgegner im Wendland im November 2004 hat sich die Polizei spürbar mehr zurückgehalten als bei früheren Atommüllfuhren ins Zwischenlager Gorleben. Einerseits. Andererseits: Abseits der großen Kundgebungen und wenn Journalisten nicht vor Ort waren, gab es rechtswidrige und gewalttätige Übergriffe von Beamten. Zu diesem zwiespältigen Fazit kommt das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ in einer jetzt vorgelegten Broschüre.

Wie bereits in den Vorjahren, hatten rund ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des in Köln ansässigen Bürgerrechtsvereins die Proteste gegen den Castortransport sowie das Vorgehen der Polizei beobachtet und dokumentiert. „Oberflächlich konnten wir mit Erstaunen beobachten, dass die Polizei sich weitgehend zurückhielt“, sagt Komitee-Sprecherin Elke Steven.

Auch am darauf folgenden Tag blieben die Atomgegner bei Aktionen entlang der Transportstrecke dem Komitee zufolge meist unbehelligt. „Die Polizei blieb meist im Hintergrund, räumte auf den Waldweg gelegte Äste, ritte durch den Wald ohne dabei auf Menschen zuzureiten, sperrte Wege, aber bemühte sich um eine Einzelfallprüfung, wenn jemand durchgehen oder fahren wollte.“ Sitz- und Treckerblockaden in Langendorf hätten die Beamten zunächst nur beobachtet, aber nicht wie in der Vergangenheit weiträumig abgesperrt. Auch andere Blockaden seien „ohne übermäßige Gewalt geräumt“ worden.

An anderer Stelle registrierten die Komitee-Leute jedoch ein härteres Vorgehen der Polizei. „Beobachtet haben wir, dass die Achse eines Traktors auf einem Feld außerhalb der Demo-Verbotszone mit einem Panzerschaufelwagen zerstört wurde.“ Auf demselben Acker seien zwei junge Leute in einem Trecker von einem Polizisten mit der Waffe bedroht worden: „Er hatte seine Dienstpistole direkt auf das Führerhaus gerichtet.“

Weiter prangert das Komitee „Körper verletzende Gewalt“ und den Einsatz von Reizgas bei der Räumung einer Blockade in dem Dorf Groß Gusborn an. Harte Polizeigriffe wie der „Handbeugehebel“ hätten vielen Demonstranten lang andauernde Schmerzen zugefügt und „Gewalt und Macht“ der Polizisten gegenüber den Blockierern zum Ausdruck bringen sollen. Die Beobachter erfuhren, „dass in Gusborn nächtens Kinder gefesselt wurden“.

Zu „Zweifeln an der schön gefärbten Oberfläche“ hat beim Grundrechte-Komitee auch die „allgegenwärtige Überwachung“ im Wendland geführt. Schon lange vor dem Transporttermin seien Polizisten zur Stelle gewesen, sowie etwas „Verdächtiges“ geschah. Jedes Plakat, jedes Protestsymbol sei von Beamten fotografiert worden. „Spätestens der Spaten, mit dem das Loch für einen Fahnenmast im eigenen Garten gegraben werden soll, ruft die Polizei auf den Plan.“

Heftige Kritik muss auch die Bezirksregierung Lüneburg einstecken. Wie in den Vorjahren, hatte die Behörde Demonstrationen entlang der Transportstrecke sowie rund um das Zwischenlager und den Verladebahnhof für mehrere Tage verboten und dies mit drohender Gewalt begründet. Das Verwaltungsgericht erklärte Teile der so genannten Allgemeinverfügung zwar für unrechtmäßig, vom Oberverwaltungsgericht (OVG) wurde dieser Beschluss jedoch wieder gekippt.

Bei Bezirksregierung und OVG seien „erhebliche Lücken der Wahrnehmung und Einseitigkeit ihrer Argumentation festzustellen“, meint das Komitee. „Argumenten und Belege werden nur zugunsten des Verbots gesammelt und ausgewertet, die Verbotskonstruktion dominiert. Die dadurch bewirkten Lücken und Fehler zeitigen die Folge, dass das Grundrecht auf Demonstration auf einen nachrangigen Platz rückt.“

Broschüre: ISBN 3-88906-117-6, 6 Euro.