Einen Schutzraum schaffen

Anspruchsvolle Kinderstücke ohne schnelle Antworten sind ihr Markenzeichen: Tine Krieg und Sylvia Deinert betreiben seit 25 Jahren das Fundus Theater

„Wir wollen keine unrealistischen Pseudo-Lösungen“„Manchmal sind wir wirklich am Rande von allem“

von Carola Ebeling

Sie hat eine sehr helle Haut, rote Haare, die Tine Krieg gern zu zwei Zöpfen flicht, das fällt auf, auch vielen Kindern. Die flüstern dann in der S-Bahn: Könnte das die erwachsen gewordene Pippi Langstrumpf sein?

Die Phantasie der Kinder anzuregen gefällt Tine Krieg – aber die Figur Pippi Langstrumpf sieht sie sehr skeptisch: „Ich habe das als Kind als Betrug erlebt: Man nimmt ihre Einsamkeit nicht wahr, mit Geld scheint sie sich Freunde kaufen zu können. Sie hat enorme körperliche Kräfte, damit wehrt sie Gefahren ab. Aber das sind Pseudo-Lösungen, die auf die Realität von Kindern nicht zutreffen.“

Da klingt sie schon an, die Passion von Tine Krieg und ihrer Kollegin Sylvia Deinert: ein Kindertheater zu entwickeln, das sein Publikum, die Drei- bis 14-Jährigen, ernst nimmt, ihm keine einfachen Antworten gibt, die sich im realen Leben als Lügen erweisen. 1980, beide waren Mitte 20, taten sie sich zum Fundus Theater zusammen. Im April diesen Jahres haben sie ihr 25-jähriges Jubiläum gefeiert – im 1997 bezogenen eigenen Theater in Hamburg Eilbek.

Zwischen vielen roten Backsteinhäusern liegt das alte Fabrikgebäude. Man geht quer über den Hinterhof, ein paar Stufen hinauf – und befindet sich im Foyer: Ein lang gestreckter, lichter freundlicher Raum öffnet sich. Aus dem Theatersaal kommt Tine Krieg. Sie blinzelt in die Helligkeit. Die Konzentration steht ihr noch ins Gesicht geschrieben, im schwarzen Sweatshirt setzt sie sich neben Sylvia Deinert. Im eleganten Blazer sieht man ihr die Anstrengung des Theatermachens – und dazu gehören auch Organisation und Verwaltung – nicht gleich an.

Auf die Frage, wie sie denn 1980 zusammengefunden hätten, lachen sie. „Wir sind uns viel früher begegnet. Wir sind beide Berlinerinnen.“ Zögern. „Wir kennen uns schon seit der Sandkiste“, fährt Sylvia Deinert fort, hält erneut inne. Dann schließlich, leise und abrupt: „Wir sind Schwestern“. Mit diesem Bekenntnis scheinen die beiden auch sich selbst überrascht zu haben. Denn das ist nirgends nachzulesen, in keiner Pressemappe, auf keiner Homepage. Ein Geheimnis? Nein, aber, so Tine Krieg: „Das weiß keiner. Im Prinzip.“ Sie seien auch ganz unterschiedliche Wege gegangen. Zwar hätten sie beide Pädagogik studiert. Aber während sie selbst ein Kunststudium anhängte und über die freie Kunst und Performance zum Kindertheater kam, näherte sich Sylvia Deinert über Bildhauerei und Puppenspiel. Außerdem müssten sie das „Geschwistersein extra installieren“ fügt Tine Krieg hinzu. Im Theater jedenfalls seien sie Kolleginnen.

Dennoch wird bald deutlich, dass in ihrer Schwesternschaft der Kern für eine Kontinuität in einer gleichzeitig sehr dynamischen Beziehung liegt. Eine Stabilität im Fragilen der Theaterexistenz, die sich fürs Weitermachen und Sich-Fortentwickeln als unabdingbar erwiesen hat.

Denn nicht immer waren die Zeiten so vom Gefühl des Aufbruchs getragen wie Anfang der 80er Jahre, als die Idee vom Freien Theater neu war und alles möglich schien. Die beiden waren viel unterwegs, haben Straßentheater gemacht, sind auf Tournee gegangen. Von Anfang an haben sie ihre Stücke selbst geschrieben, Schauspiel mit Figurentheater verbunden, eigene Formen der Darstellung gesucht.

Konzeptionell sind sie oft angeeckt – zu schwer, zu kryptisch fanden viele Veranstalter und Schulen die Stücke. Als sie 1984 Familienalbum, ein Stück über sexuellen Missbrauch, entwickelten, war das „wie ein Magnet, wo alle Schwierigkeiten andockten“, erzählt Sylvia Deinert. Ihre Stärken – die genaue Beobachtung, das Erspüren von Themen – gereichten ihnen damals zum Nachteil: Noch wollte kaum jemand an dieses Tabu rühren. Doch sie schafften es, einen neuen Kundenkreis zu erschließen.

Das Theater als „Schutzraum“, in dem sich die Kinder und Jugendlichen auch mit einem schweren Thema auseinander setzen können, gehört bis heute zum Konzept der beiden. Ebenso wie die enge Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten. Sehr wichtig ist auch der Austausch mit ihrem Publikum: In den 1999/2000 geführten Werkstatt-Gesprächen mit Drei- bis 14-Jährigen ging es ihnen um die Besonderheit des Theaters im Verhältnis zu den anderen Medien. Damit fragten sie zugleich nach dem Sinn ihrer Arbeit. Die Antworten bestärkten sie darin, weiterzumachen.

Eins steht für die beiden jedenfalls fest: Das Theater ist Zentrum ihres Lebens. „Wir wohnen hier nur nicht.“ sagt lachend Syliva Deinert, die auch Mutter einer 25-jährigen Tochter ist. Ein anregendes Leben. Aber auch sehr anstrengend. Manchmal seien sie am „Rande von allem“, aber „Gott sei Dank sind wir ja zu zweit“. Eine mobilisiere immer noch genügend Kräfte, um die andere mitzunehmen. Tine Kriegs Blick geht zur Schwester. Sie erinnert sich noch, wie die ihr damals die hinfällige Fabrikhalle gezeigt hat, nachts, im Licht einer Taschenlampe: „Ich dachte, das schaffen wir nie, bist Du verrückt?“ Sie waren es beide. Glücklicherweise.