Die verkannte Erfolgreiche

Erwachsen, energisch und doch gelangweilt: Aimee Mann wirkte bei ihrem Konzert in der Universität der Künste zunächst sehr konzentriert – dann aber war es doch nur so, als habe sie einfach ihren Job gemacht. Nicht weniger, aber auch nicht mehr

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Aimee Mann ist eigentlich eine heroische Figur der neueren Musikgeschichte. Sie spielte in den 80er-Jahren in einer Punkband, hatte später mit einer Waveband einen Top-Ten-Hit und geht seit 1993 Solowege. Sie überwarf sich mit ihrer Plattenfirma Interscope, kaufte sich ihre Songrechte zurück, gründete ihr eigenes Label, verkaufte 150.000 Exemplare ihrer nächsten CD und wurde eine reiche Frau.

Allen hat Aimee Mann es gezeigt und dabei gewonnen, und gilt trotzdem noch immer allgemein als die große Verkannte, als Ausnahmetalent und Kritikerliebling, der den großen verdienten Durchbruch nicht geschafft hat. Es stellt sich zwar die Frage, wie man nach einer Oskar- und drei Grammy-Nominierungen noch immer als verkannt gelten kann – trotzdem stimmt es: Aimee Mann ist zumindest hierzulande weniger bekannt als ihre Singer-Songwiter-Kolleginnen Sheryl Crow, Tori Amos oder Heather Nova. Oft erinnert man sich erst beim Hinweis „Magnolia“ an die Musikerin. Regisseur P. T. Anderson hatte in dem 1999 erschienenen Film neun Geschichten aus San Fernando Valley in Kalifornien elegant miteinander verwoben. Es geht um Leben und Tod, um verlorene Töchter, Söhne, Eltern. Unvergessen Tom Cruise als Sexguru und der plötzliche Froschregen als Happyend. Die Songs von Aimee Mann verbinden die Erzählstränge, Anderson komponierte den Film um ihre Songs herum, und Aimees Mann wurde berühmt.

Im Mai 2005 erschien nun ihr neues Album „The forgotten Arm“. Aimee Mann nimmt seit zwei Jahren Boxunterricht, und was lag da näher, als sich auf der neuen CD des Themenfelds „Boxen“ anzunehmen, zumal das Boxen sich ja für viele Vergleiche eignet. Ist das Leben, die Liebe nicht ein ständiger Boxkampf, das Ringen mit der Musikindustrie erst recht? „The forgotten Arm“ ist ein Konzeptalbum, die 12 Songs stehen natürlich für die 12 Runden im Ring. „Forgotten Arm“ nennt man in der Boxersprache eine bewährte Taktik: Der Gegner wird in die Seile gedrängt und mit der einen Faust dermaßen malträtiert, dass er die andere vergisst, und dann holt der „vergessene Arm“ zum finalen Schlag aus.

Die Geschichte hinter „The forgotten Arm“ klingt bekannt: John, der „King of Jailhouse“, ein drogensüchtiger Preisboxer und Vietnamveteran, und Carolin „Queen of the Road“ treffen sich zu Beginn der Siebziger auf einem Dorfrummel in Virginia. Caroline hat genug von der miefigen Kleinstadt, also setzen sich die zwei in einen alten Cadillac und fahren durchs mythische Amerika der Spielerstädte, billiger Hotels und Verlierer. „The forgotten Arm“ ist also wie ein amerikanisches Roadmovie, wie ein Film von Wim Wenders, den man nicht sehen will. Aimee Manns Songs wurde mit denen der Beatles, Beach Boys und Burt Bacharach verglichen. Tatsächlich besitzt sie das Talent, anspruchsvolle und doch eingängige Melodien zu finden, aber auf „The forgotten Arm“ trifft auch der wohlwollende Zuhörer nur auf gleichförmige Gitarren-Folkrocksongs. Die Texte wirken zuerst irgendwie fein-und tiefsinnig, kryptisch-poetisch, bieten dann aber wenig Überraschendes. Aimee Manns Gleiten in höhere Oktaven, das immer Verletzlichkeit und trauriges Beharren ausdrückte, wirkt nur noch wie eine bemühte Pflichtübung.

Am Freitagabend in der Udk ist man zuerst schwer beeindruckt von Aimee Mann: Diese große, schlanke, erwachsene, schöne Frau mit den langen, blonden Haaren und der ernsten Miene. Unprätentiös in Jeans und Männerunterhemd – oder ist das schon ein Muscleshirt? – steht sie auf der Bühne, das Haar energisch aus dem Gesicht gestrichen, die langen, dünnen Arme um die Gitarre geschlungen. Sie hat ihre Band im Griff, die Musiker geben sich ganz der gefälligen Begleitung ihres komplexen Spiels und Gesangs hin. Dem Publikum verspricht sie, nicht nur ihr neues Album, sondern auch ältere Songs zu spielen, und bringt im ersten Drittel schon die Hits aus „Magnolia“.

Das nächste Lied „Save me“ sei vor fünf Jahren für einen Oskar nominiert worden, erzählt sie, der Preis sei dann aber an Phil Collins für einen Disney-Tarzansong gegangen, „a real tragedy“, ergänzt sie trocken, und das Publikum lacht mitleidig, weiß doch hier jeder, dass gegen Phil Collins zu verlieren moralisch zu gewinnen heißt.

Zwischen den Songs arbeitet sie sich erzählerisch durch den zähen „Forgotten-Arm-Zyklus“, mit tiefer, rauer Stimme, ein wenig theatralisch-leiernd: „They come to the point you know, when things start getting kinda difficult for our hero and our heroine …“ Auch den rockigeren Nummern fehlt leider der Pfeffer, und manchmal klingt Manns schöne Stimme sogar etwas leiernd und nörgelig. Das angenehme Raue wird sentimental , das Unterkühlte ihrer Darbietung wirkt bald gelangweilt, als fehlte ihr jede Begeisterung.

Begeistert sind dagegen die Menschen in der ausverkauften UdK, sie fordern Zugabe um Zugabe, Aimee Mann antwortet professionell freundlich und emotionslos – thank you so much, you are extremly friendly, it was so much fun …“ – und macht doch den Eindruck, als habe sie hier nur versucht, ihren Job als preisboxende Singer-Songwriterin gut zu machen, nicht weniger, auch nicht mehr.