Neues vom Zauberberg

Schriften zu Zeitschriften: Weil sich am 12. August Thomas Manns 50. Todestag jährt, feiert die „Neue Rundschau“ ihren ehemaligen Autor mit einigen gebührenden Hommagen – in einem durchaus „Rundschau“-ungewohntem Stil

Das neue Heft der 1890 gegründeten Neuen Rundschau widmet sich, wie könnte es anders sein, Thomas Mann. Am 12. August jährt sich Manns 50. Todestag, und die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift feiert ihren ehemaligen Autor schon mal mit einigen gebührenden Hommagen. Der gerade 70 Jahre alt gewordene Schriftsteller Dieter Forte berichtet in seinem Mann-Beitrag von der Enttäuschung enthusiastischer „Zauberberg“-Touristen. Am Schauplatz Davos angekommen, müssen sie nämlich feststellen, dass viele der topografischen Details der Romanhandlung vor Ort nicht verifizierbar sind: Hier „löst sich der Roman in Verwirrung auf, [...] und man darf den verwunderten Satz hören: ‚Der Zauberberg stimmt nicht.‘ “

Eine andere verstörende Form der Begegnung mit dem wohl berühmtesten Werk Manns erzählt der amerikanische Autor Richard Powers. Er begann, den „Zauberberg“ während eines Nachtschichtjobs in einer unheimlichen Bostoner Datenverarbeitungsfirma zu lesen und entschied sich danach, zu kündigen und sein Leben fortan dem zu verschreiben, womit ihn Mann „ansteckte“. Das klingt vielleicht pathetisch, liest sich aber ganz locker-flockig und unterhaltsam. Das hätte man der altehrwürdigen Neuen Rundschau gar nicht zugetraut.

Der 1948 in Buenos Aires geborene, in Israel und Argentinien aufgewachsene Kanadier Alberto Manguel schlägt in seinem Tagebuch einen anderen Ton an. Der Auszug aus dem im September 2005 erscheinenden Buch „Aus dem Tagebuch eines Lesers“ ist der schönste Text des Hefts. Darin vermischen sich autobiografische Erinnerungen anlässlich eines Besuchs in Buenos Aires, bibelfeste Kritik an der Papstwahl Ratzingers und kreisende philosophische Überlegungen über den „Zeitsinn“ bei Thomas Mann mit der Beschreibung eines akuten Jetlags des belesenen Erzählers. Entfernt erinnert das an die Tagebücher und Romane Max Frischs. Doch Manguel hat seinen eigenen Sound. Was man vom ehemaligen Bachmannpreisträger Michael Lentz nicht behaupten kann. Sein Text, ein Auszug aus einem für 2006 geplanten Buch, trägt den Titel „Thomas Mann, 1955“ und ist nichts weiter als eine misslungene Imitation Thomas Bernhard’scher Schachtelsätze. Teilweise wirken die Formulierungen so, als seien sie direkt aus Bernhards Roman „Auslöschung“ abgeschrieben und hinterher in einem allerdings schlechteren Stil umformuliert worden.

Dabei ist die Idee, den Tod Manns in einer Art verfremdeten Monolog zu beschreiben, gar nicht mal so schlecht. Zumal Bernhard in „Auslöschung“ eine unvergessliche Mann-Beschimpfung integrierte, die Lentz auf die Idee gebracht haben dürfte.

Auch Pulitzerpreisträger Michael Cunningham ergeht sich in eher mäßig fesselnden Überlegungen zum Problem der Literaturübersetzung. Dazu vergleicht er eine neuere amerikanische Übersetzung von Manns „Tod in Venedig“ mit der seiner Erstlektüre. Die Gedanken aber, die uns Cunningham hierbei über die Probleme des Übersetzers auftischt, dürften den meisten Lesern bekannt und höchstens denjenigen neu sein, die noch nie versucht haben, eine fremde Sprache zu erlernen.

Wer mag, kann in der Ausgabe auch noch allerlei Aufsätze über „Wörterbücher“ lesen. Auch darin geht es um das Problem der ‚Übersetzung‘ akkumulierten Wissens in übersichtliche Formen von Nachschlagewerken. Nicht nur Thomas Manns Romane, sondern die gesamte Avantgarde der literarischen Moderne wäre ohne sie nicht denkbar gewesen: So ergänzen sich die Themenschwerpunkte des Hefts mehr, als es auf den ersten Blick scheinen mag. JAN SÜSELBECK

Neue Rundschau. Heft 2, 116. Jahrgang, 2005, 10 €