Istanbul-Fokus ohne Istanbul

Türkische Künstler boykottieren die Ausstellung „Urbane Realitäten: Fokus Istanbul“, die am Freitag im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnet. Ihren Rückzug begründen sie mit mangelnder Transparenz, etwa bei der Künstlerauswahl. Der Mäzen der Istanbul Foundation tritt in Berlin als Fotograf auf

VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Als einzige Stadt der Welt erstreckt sich Istanbul über zwei Kontinente. Die kulturellen Wechselbeziehungen dieser beiden Weltregionen, wie sie sich in der Stadt Istanbul manifestieren, sind wichtige Aspekte der Ausstellung Urbane Realitäten: Fokus Istanbul.“ So beginnt die Presseerklärung für die am kommenden Freitag im Martin-Gropius-Bau beginnende große Istanbul-Ausstellung. Rund 60 Künstler werden dort ihre Arbeiten über Istanbul und ihr Verhältnis zu der Stadt präsentieren, doch lediglich fünf von ihnen kommen aus Istanbul.

Das war ursprünglich natürlich nicht so gedacht. Die mangelnde Präsenz Istanbuler Künstler ist vielmehr das Ergebnis eines heftigen Konflikts des Ausstellungskurators und Leiters des Künstlerhauses Bethanien, Christoph Tannert, mit der Mehrheit der eingeladenen Istanbuler Künstler, die sich nach langen Diskussionen dafür entschieden, ihre Teilnahme abzusagen.

„Dieses traurige Desaster“, wie Vasif Kortun es nennt, „ist das Ergebnis eines katastrophalen Missmanagements von Christoph Tannert.“ Vasif Kortun, einer der bekanntesten Kunstmanager in Istanbul, sollte ursprünglich als Ko-Kurator für die Berliner Ausstellung mitwirken, hat sich aber gemeinsam mit zehn Istanbuler Künstlern von dem Projekt zurückgezogen.

In einer Erklärung, die die zehn KünstlerInnen an Tannert schickten, begründen sie ihren Rückzug mit konzeptionellen Mängeln, der mangelnden Transparenz bei der Auswahl der Künstler und der undurchsichtigen und ungerechten Mittelvergabe an die Teilnehmer. Darüber hinaus fühlten sie sich als Künstler nicht ernst genommen, sondern hatten das Gefühl, die Ausstellungsleitung wolle sie als Goodwill-Botschafter der Türkei instrumentalisieren.

„Es ist skandalös, wie Tannert mit dem Geld für die Ausstellung umgegangen ist“, meint Vasif Kortun, „das hat schließlich alle am meisten empört.“ Als erste der eingeladenen KünstlerInnen hatte Hale Tenger ihre Teilnahme zurückgezogen. „Das war für mich eine ethische Entscheidung“, sagte sie gegenüber der taz. „Man kann nicht den Vorsitzenden einer Stiftung, von der man sich finanzielle Unterstützung erwartet, als Künstler einladen, um sich so dessen Wohlwollen zu erkaufen.“ Hale Tenger bezieht sich damit auf die Einladung des Fotografen Sakir Eczacibasi. Der Mann ist zwar Fotograf, vor allem aber ist er Präsident der Istanbul Foundation und Mitglied einer der reichsten Kunstmäzenefamilie der Türkei, des Pharmacie-Clans Eczacibasi, die auch die wichtigsten Geldgeber für das im letzten Jahr neu eröffnete Museum für zeitgenössische Kunst, das „Istanbul Modern“, sind. Hale Tenger zur taz: „Sakir ist bisher nie zu einer solchen großen Ausstellung eingeladen worden. Nicht in der Türkei und schon gar nicht im Ausland. Es ist so offensichtlich, dass damit eine finanzielle Unterstützung abgegolten werden sollte.“

Nach dem Protest von Hale Tenger trafen sich dann ein großer Teil der von Christoph Tannert angesprochenen Künstler in einer Istanbuler Galerie, um ihre Erfahrungen mit dem Ausstellungsmanagement auszutauschen. Einhelliges Ergebnis: Niemand konnte sich erklären, aus welchen konzeptionellen Gründen er oder sie als Künstlerin angesprochen worden war, alle hatten aber den Eindruck, dass sie ihre Arbeiten, die sie für die Ausstellung produzieren sollten, zu Dumpingpreisen abliefern sollten. Die Begründung aus Berlin war: Die Mittel seien knapp und das türkische Kulturministerium und Außenministerium hätten sich geweigert, die Ausstellung zu sponsern. „Es war Geld dafür da, dass ein kanadischer Künstler drei Wochen nach Istanbul kommen konnte, um sich für eine Arbeit über die Stadt inspirieren zu lassen, aber die Istanbuler Künstler sollten sogar ihre Tickets zur Ausstellungseröffnung selbst zahlen“, beschreibt Kortun einen der Gründe der Empörung bei den beiden Treffen in der „Plattform Galerie“.

„Warum sollen Istanbuler Künstler nur Geld bekommen, wenn das türkische Kulturministerium die Ausstellung sponsert? Wir sind doch nicht Abgesandte des türkischen Staates“, schüttelt Vasif Kortun den Kopf. Auch Orhan Esen, ein anderer Teilnehmer aus Istanbul, der sich frustriert von der Veranstaltung zurückgezogen hat, macht die Budgetplanung Tannerts dafür verantwortlich, dass Fokus Istanbul nun weitgehend ohne Istanbuler Künstler stattfinden wird. „Es wurden von Anfang an zu viele Leute angesprochen und ihnen Hoffnung gemacht, nur um ihnen dann zu sagen: Sorry, der türkische Staat hat kein Geld gegeben, jetzt können wir euch nicht finanzieren. Jeder, der sich hier auskennt, weiß, dass der Staat dafür kein Geld gibt.“

Mangelnde Kenntnisse der Situation vor Ort und ein westeuropäisches Klischee über orientalische Kunst sind für Vasif Kortun letztlich der Hintergrund für solche Konflikte, wie sie jetzt um Fokus Istanbul entstanden sind. In den letzten Jahren hat er beobachtet, wie sich das westeuropäische Interesse an dieser Gegend enorm verstärkt hat. Der Grund: Die EU gibt Gelder für Kulturaustausch. „Da tummeln sich dann plötzlich Leute hier, die mit der Kunst wenig zu tun haben und nur ihre Projekte durchziehen wollen. Seit 2000 gibt es immer häufiger Istanbul-Ausstellungen, bei denen die hiesigen Künstler dann für orientalisches Flair sorgen sollen. Die Künstler von hier werden nicht ernst genommen. Sie fühlen sich zu Zweite-Klasse-Teilnehmern degradiert.“