SUSANNE LANG über DIE ANDEREN
: Det, wir müssen reden!

Ein Mainzelmann ist harmlos? Süß? Schnuckelig? Quatsch! Sie sind gemeinwohlgefährlich!

Neulich bekam ich Post von BMW: Sommerfest eines großen Fernsehsenders, gesponsert von BMW, sie wollten mich dabei haben. Nicht, dass das unangemessen gewesen wäre – ich habe eine waschechte BMW-Eltern-Kindheit hinter mir. Und Hauptstadt-Sommerfeste sind die wahren Fieberthermometer der Republik. Also nahm ich die Einladung großzügig an und machte mich auf zur alten Nationalgalerie – mitten hinein ins Herz der Berliner Vergangenheitsrecyclinganlage, genau dorthin, wo sich die Sehnsucht nach dem glorreichen Gestern und der Verfall des traurigen Heute Guten Abend sagen; zum Fest des ZDF, Haussender für bewahrende Neuanfänge.

Der Wind streichelte die Baumwipfel, die Säulen der Tempel glänzten im Orange des Festlogos, ein Kameraarm schwenkte seine Runden über einem Brunnen, der kleine Fontänen spuckte. Über allen Pavillons festliche Unruh, als hätte Godfather Köhler persönlich ein Dach ausgebreitet über seiner Festrepublik. Am EADS-Zelt: Michael Glos dröhnt, gerüstet für alles wie immer. Am Büfett: Andrea Nahles parliert mit Wolfgang Thierse und sieht ganz sanft dabei aus. Im Plakatkasten: Maybrit Illner, die zweite Ostfrau neben Angela Merkel, die eine reibungslose Westhosenanzugskarriere hingelegt hat. Die echte Illner tänzelt immer wieder daran vorbei, ein Traum in Türkis, Ballonrock, Gypsi-Look. Alles auf Neuanfang. Ich stand toppositioniert neben dem X3, BMW-Geländetiger, breiter, höher, stärker als ich. Ab und an huschte eine kleine, feine Dame herbei und wedelte mit einem Wuschel Staub vom Lack des Tigers. Bis plötzlich …

Ab da musste ich den Abend verdrängt haben. Als meine Erinnerung wieder einsetzte, stand Frau Fromm, meine herzensgute Nachbarin, vor mir, genauer mit mir vor meiner Haustür. In meinen Händen: eine Tüte mit produktmäßigen Nettigkeiten à la Streichhölzer (Farbe: ZDF-Orange, „Anmachen“) und ein Kalender 2006 mit halb nackten Männern (Farbe: Orange, „die Tonnen Boys“, Berlin Recycling Müllabfuhr). In ihrer Hand: ein ausgerissener weißer Arm, Synthetikstoff. „Wer ist, bitte sehr, Det?“, fragte sie mich, streng. „Det?“, fragte ich, ebenfalls mich, besorgt. Ich hätte sie mit „Det – hau ab, du Sau“ angefaucht, behauptete sie, als sie mir den Synthetikarm wegnehmen wollte. Da dämmerte es mir …

Ich stand also neben dem X3, lauschte einem netten Mann von BMW mit sehr netten Informationen. Dass es ja schon seltsam wäre, dass der ARD-„Marienhof“ Schleichwerbeskandal so eingeschlagen hätte. Alle in der Branche hätten immer und alles gewusst. Alle hätten es versucht, ein Pfarrer im „Marienhof“ und so, leider nicht so sexy wie ein Reiseunternehmen. Tja. Ich nahm ein weiteres Krabbentörtchen. Da sah ich IHN. Also SIE. SIE und IHN. Nein, IHN und sie. Ich sah Helmut Kohl.

Er füllte einen Sommerstudio-weißen Stuhl in der VIP-Lounge, an seiner Seite seine Neue. Dann Auftritt Angela Merkel: Stolz kam sie, nett grüßte sie, und blöd stutzte sie. ER blieb einfach sitzen. Ungerührt. Kanzler a. D., Kanzler in spe. Erlös der Festtombola geht in den Restaurationstopf, sagten die Damen mit den Losen, Guter Zweck und so.

Alles lief nach Plan C, bald würde ja alles gut für die gefühlte Mehrheit, das war doch was. Bis plötzlich – ES in meinen Abend gemoppelt kam. Knubbelblau, bollig blöd bebrillt, wackelte das Chef-Mainzelmännchen auf mich zu, ein Bierglas in der Tapsehand. „Na Det!“, rief ich, „alles klar?“ Sein Kopf, eine fette Kugel, ohne Schlitze, ohne Löcher. Er hampelte nach rechts und winkte mir zu. Wie konnte er mich sehen? Woher bekam er Luft? „Det!“, rief ich noch einmal. Aber er grinste nur und prostete mir zu. Wortlos. Schicksalsergeben. Plötzlich war ich völlig klar: Das war der wirkliche Plan. Diese Dets waren das Geheimnis des Neuanfangs. Nichts sagen, nett grinsen, lieb kuscheln. Schöne Mainzelmännchenrepublik. Da packte ich zu, einmal, zweimal, sehr fest, rüttelte ich an seinem weißen Synthetikarm. Dann rannte ich. Rannte und rannte …

„Mein Trost“, sagte ich später zu Frau Fromm, „ich habe keinen Cent in die Tombola investiert.“ Obwohl der Hauptgewinn ein echter BMW war.

Fragen ans ZDF? kolumne@taz.de MORGEN: Jenny Zylka PEST & CHOLERA