UNTERM STRICH

Der Schriftsteller Martin Mosebach hat vor kurzem an einer Tagung in Essen teilgenommen, bei der es um „Redefreiheit in einer multikulturellen Welt“ ging. Er hat dort einen Vortrag gehalten, den die Feuilletons von Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau am Dienstag gedruckt haben. Beim Lesen erschrickt man mehr als einmal. Mosebach erörtert die Vorteile, die es hätte, stellte der Gesetzgeber gotteslästerliche Äußerungen unter Strafe. Der Rechtsstaat Bundesrepublik sei zwar säkular, sein Wesen verdanke sich aber dem Christentum, und deswegen stehe es diesem Staat gut zu Gesicht, den christlichen Fundamenten besonderen Schutz angedeihen zu lassen.

Mosebach äußert außerdem Verständnis, wenn gläubige Muslime „blasphemischen Künstlern […] einen gewaltigen Schrecken einjagen.“ Und weiter: „Es wird das soziale Klima fördern, wenn Blasphemie wieder gefährlich wird.“ Salman Rushdie, Theo van Gogh oder Shahin Najafi werden’s ihm danken. Laut Mosebach dürfen sie sich glücklich schätzen, sorge Gefahr doch dafür, dass die Kunst besser wird.

Eines lässt Mosebach in seiner Kritik der blasphemischen Kunst außer Acht: die Möglichkeit, dass sich die Gläubigen, die sich von Meinungsäußerungen, Karikaturen oder Kippenbergers Frosch am Kreuz beleidigt fühlen, mit Worten in den Diskurs einschalten (so wie Mosebach es selbst tut). Warum fällt ihnen das so schwer? Weil sie so zarte Pflänzlein sind, dass ihnen das Argumentieren nicht zumutbar ist? Oder weil sie so vernarrt in ihren strafenden Gott sind, dass sie gar nicht anders können, als nach dem Gesetz zu rufen?