berliner szenen: Showtimein Türkis
Die Toilettenfrau hat sich sorgfältig zurechtgemacht. Der türkisfarbene Lidschatten korrespondiert mit der Farbe ihres Pullovers. 34 Jahre arbeitet sie schon in diesem traditionsreichen Café, die längste Zeit als Serviererin. Nur, wer schnell auf den Beinen und im Kopfrechnen war, konnte hier früher bestehen. Und wer in blütenweißer Bluse erschien. Einmal musste sie einer jungen Kollegin beibringen, Weiß nur mit Weiß zu waschen. Mit angegrauten Oberteilen durfte sie der Chefin nicht unter die Augen treten.
Als Serviererin trug sie ein Namensschild, das hat sie einfach behalten. Frau Krämer. Inzwischen ist sie 73, längst in Rente, aber die ist knapp, und zu Hause ist es langweilig. Deshalb macht sie jetzt die Damen- und die Herrentoilette, halbtags. Viele Gäste sieht sie schon seit Jahren – Hochzeiten, Scheidungen, Krankheiten, kennt sie alles.
Während ich noch nach meinem Portemonnaie krame, deutet Frau Krämer auf eine sich nähernde Kundin. „Ein ganz schwieriger Fall, hat immer etwas zu meckern. Werden Sie gleich erleben.“ Ich erlebe das Gegenteil. Die Kundin weint. Frau Krämer erkundigt sich, ob dem Ehemann etwas zugestoßen sei, über dessen Diabetes ist sie ja bestens informiert. „Wenn es doch so wäre. Das würde ich noch verschmerzen, aber wie soll ich ohne meinen Chowie leben?“ Tränen. Frau Krämer spricht ihr Beileid zum Tod des Chow-Chows aus und versichert mir, kaum, dass die Kundin außer Hörweite ist, dass sich die Serviererinnen heute abklatschen werden. Alle haben sich geekelt vor dem alten Hund, dessen Inkontinenz seine Besitzerin konstant ignoriert hat.
Bevor sie mich entlässt, soll ich noch eine Frage beantworten. Ob mir aufgefallen ist, dass sie auch das Schwammtuch auf ihr Outfit abgestimmt habe? Morgen könnte ich sie in Rosa antreffen. Claudia Ingenhoven
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen