Steilvorlage für die Spielpläne

ÄSTHETISCHE KONJUNKTUR Was macht das Theater aus der Krise? Ist es endlich wieder aktuell? Stücke von Elfriede Jelinek, Hans Fallada und Ödon von Horváth sind im Angebot – und eine Adaption Émile Zolas

VON REGINE MÜLLER

Als vor drei Jahren Rimini Protokoll „Das Kapital“ von Karl Marx am Düsseldorfer Schauspielhaus auf die Bühne stellte, war von Krise noch keine Rede. Zwar dräute auch damals schon wie ferner Donner die Erkenntnis, dass es nicht mehr lange so weitergehen könne mit der neoliberalen Marktwirtschaft, doch der hoch gelobte Theaterabend blieb dezent und setzte auf Ironie und ideologische Distanz zur Marx’schen Kapitalismuskritik.

In der nun beginnenden Spielzeit ist die Krise zum beherrschenden Motto, zur willkommenen Steilvorlage der Theaterspielpläne geworden. Krisenstücke haben Hochkonjunktur: Brechts „Dreigroschenoper“ und „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ werden mehrfach gespielt, ebenso Ödon von Horváths „Kasimir und Karoline“ und Hans Falladas „Kleiner Mann, was nun?“ Am schnellsten hat das Kölner Schauspiel reagiert, denn Intendantin Karin Beier konnte sich bereits im April dieses Jahres die Uraufführung von Elfriede Jelineks noch vor Ausbruch der Krise in prophetischer Eingebung entstandenem Stück „Die Kontrakte des Kaufmanns“ sichern. Im koproduzierenden Thalia Theater Hamburg und an nicht weniger als fünf weiteren Bühnen steht Jelineks rasendes Textflächentheater nun auf dem Spielplan.

Der Erfolg von Nicolas Stemanns Kölner Uraufführungsinszenierung war überwältigend: Trotz gehöriger Überlänge waren alle zehn Vorstellungen ausverkauft, und einmütig wurde die böse swingende, fatalistische Heiterkeit dieses Abends gefeiert, der sich falschen Sicherheiten ebenso wie moralischen Adressierungen verweigert.

In Düsseldorf hat man sich nun zum Spielzeitauftakt ebenfalls an eine Uraufführung zum Krisenthema gewagt: John von Düffel hat Émile Zolas Roman „Das Geld“ zum Bühnenstück eingedampft. Zolas Roman erschien 1891 und verarbeitete den realen Zusammenbruch der „Banque l’Union Générale“, indem er dessen Folgen für alle Beteiligten vom Bankier bis zum betrogenen Kleinanleger in einem großen Gesellschaftstableau darstellte. Von Düffel, der mit der Bearbeitung monströser Romane („Die Buddenbrooks“) für die Bühne Erfahrungen gesammelt hat, musste vor dieser Stofffülle kapitulieren. Denn er lässt von Zolas Sittengemälde wenig mehr übrig als nur die Geschichte vom wahnsinnigen Aufstieg und tiefen Fall des Spekulanten Aristide Saccard.

Von Düffel führt zwar anfangs zahlreiche Figuren ein, lässt diese jedoch alsbald wieder fallen, so dass dem zumeist im Delirium des Größenwahns monologisierenden Saccard weder ein Gegenüber noch echtes Konfliktpotenzial bleibt. Vermutlich wollte von Düffel mit der Konzentration auf den Gierschlund Saccard Wahnwitz wie Einsamkeit der Finanzhaie sinnfällig machen, doch ist mit dieser Erkenntnis weder dem Krisenthema noch Zola beizukommen. So bleibt nur Thesentheater übrig, das keines der hundertfach wiederholten Klischees zur Krise auslässt und sich zieht wie Kaugummi.

Zumal Regisseurin Tina Lanik ob ihrer Aufgabe ratlos scheint und vornehmlich die Bühnenmaschinerie rattern lässt. Der erste Teil des Abends spielt im Foyer, drei Videoleinwände sind aufgebaut, das Premierenpublikum steht, in drangvoller Enge die Drinks balancierend, während die Schauspieler aufgeregt herumrennen und schreiend leere Papiere in die Luft werfen. Eine Fernsehreporterin tritt auf und verkündet das „Börsenblitzlicht“, während von draußen der Marxist Sigismund prophezeit, dass die Ungerechtigkeit des Systems unerträglich werde.

Der Fernsehreporterin und Sigismund begegnet man später auch auf der Bühne wieder, die gähnend leer ist und sich immerzu drehen muss (Bühne: Ricarda Beilharz). Zur finalen Börsenschlacht vor dem Kollaps von Saccards Aktie ist schließlich eine Showtreppe aufgebaut, auf der sich trefflich stolpern und abstürzen lässt.

Eine Inszenierung, der man die Wut nicht abnimmt, mit der sie sich brüstet.