Die musikalische Ich-AG

REZESSION One-Man-Bands schießen wie Pilze aus dem Boden. Sie entdecken in der künstlerischen Selbstbeschränkung kreatives Potenzial und trotzen der Krise mit eigenen musikalischen Erfindungen

„Du musst nur pleite genug sein, um auf solche Ideen zu kommen“

VON YORK SCHAEFFER

André Duracell, der Name klingt nach kompletter Band. Dabei spielt der Franzose mit dem Batterie-Pseudonym seine Musik ganz allein. Wie ein Schwermetalldrummer prügelt der schlaksige junge Mann auf sein Schlagzeug ein, das an einen Sampler gekoppelt ist. Ein orgiastischer Sound zwischen brachialem Lärmrock, 70er-Synthiepop und knarzenden Computergeräuschen ist das Ergebnis. Eine ekstatische Musik bis zum körperlichen Zusammenbruch wie bei einem Konzert in London vor einiger Zeit tatsächlich geschehen. Duracell spielt eine Musik der Entgrenzung, einsam, hart am Rand der Krise.

Krise? Rezession? Beschränkung? Da war doch was. In einer Zeit darbender Plattenfirmen und knapper Kassen der Konzertveranstalter blüht die so genannte One-Man-Band auf. Musiker wie Bob Log III, King Automatic, Ninky V oder Dead Elvis beschränken sich auf sich selbst und wollen doch die Intensität einer Band auf die Bühne bringen.

One-Man-Bands sind der gelebte Synergieeffekt, Kapellmeister und Orchester zugleich; Tontechniker, Fahrer, Roadie, Labelmanager und PR-Beauftragter oft noch dazu. Die musikalische Ich-AG. „Vielen hilft die Einmannband als Form, sich auf den kreativ-energetischen Kern ihrer Musik zu konzentrieren“, sagt Dirk Ottn, Initiator des Bremen One Man Band Festivals (BOMB) und mit The Dad Horse Experience selbst als Einmann-Gospelcombo unterwegs. Die Spielarten sind vielfältig: mit Gitarre, rudimentärem Schlagzeug und verzerrtem Gesang oder mit Synthesizern und selbstgebautem Instrumentarium, puristisch im Lo-Fi-Modus oder technologisch unterstützt mit modernen Loop Stations. Populär bei den One-Man-Bands ist der Trash/Blues-Duktus, aber auch Rock-Acts. Gemeinsamer Nenner: live mindestens zwei Instrumente gleichzeitig spielen, ein gewisser Hang zum Spektakel und die Fähigkeit, das Alleinsein zu ertragen.

„Die steigende Anzahl von One-Man-Bands hat zum einen ökonomische Gründe, zum anderen sind es die Möglichkeiten des Nischenmarketings im Internet“, sagt der Engländer Adam Clitheroe, der gerade mit „One Man In The Band“ einen sehr persönlichen Film über die Szene gedreht hat – übrigens komplett im Alleingang. „Viele der Musiker haben vorher in Bands gespielt und sind jetzt getrieben von ihrer ganz eigenen musikalischen Vision. Für sie ist die Einmannband ein Experiment mit absoluter kreativer Freiheit und auch im ökonomischen Sinne sehr praktisch“, erklärt der Regisseur.

Thomas Truax aus New York zum Beispiel konnte sich schlicht keinen Drummer mehr leisten und reist heute im Stil eines fahrenden Sängers per Zug von Auftritt zu Auftritt. Mit dem Bau eigener skurriler Instrumente steht Truax in der Tradition alter US-One-Man-Bands, etwa der Hillbillies der 1930er-Depressionsjahre, dem genialischen Instrumentenkonstrukteur Fate Norris und Hasil Adkins, dem Erfinder des Psychobilly.

Fate Norris konnte mit Hilfe eines komplexen Apparates mit mehreren Pedalen für Gitarren und Geigen und unter Einsatz seines gesamten Körpers bis zu sechs Instrumente gleichzeitig bedienen. „Sie ist kein Keith Moon, aber sie kann einen geraden Beat halten“, sagt Thomas Truax über seine mechanische Drum-Konstruktion aus zwei miteinander verbundenen und sich gegenläufig drehenden Fahrradfelgen, der er den Namen Sister Spinster gegeben hat.

Ein gewisses Maß an Extrovertiertheit gehört zum Selbstverständnis einer One-Man-Band. Der Kölner Rocco Recycle hat sich aus alten Ölkanistern und Messingrohren ein „komplettes Schrott-Orchester“ für Gitarre und Schlagzeug angefertigt. „Du musst nur pleite genug sein, um auf solche Ideen zu kommen“, sagt der ehemalige Straßenmusiker, der aber auch heute noch mit seiner Band The Sideburns „funkigen Garagenblues“ spielt.

Die soziale Unverträglichkeit, das konsequente Einzelgängertum, das vielen One-Man-Bands nachgesagt wird, hält er für ein Klischee. Man kann die One-Man-Band im ökonomischen Sinne sicherlich als krisenhaften Ausdruck des Mangels verstehen. Für den Bereich des Musikalischen aber dient diese Fehlerhaftigkeit dem kreativen Moment. „Viele meiner Improvisationen entstehen aus Fehlern. Glückliche Unfälle, die meine Sichtweise auf die Songs verändern“, sagt Owen Ashworth aka Casiotone for the painfully alone, der sich aber nicht als Einmannband, sondern als elektronischer Songwriter sieht. Die Live-Performance des US-Amerikaners mit zwei Keyboards, etlichen Effektgeräten und seiner sonor erzählenden Stimme hat aber das kämpferische Moment typischer One-Man-Bands.

The Dad Horse Experience sagt: „Bei der Einmannband ist der gesamte Körper im Einsatz, sie ist weggetreten und komplett in der Musik. Weniger Show, mehr Existenzform.“ Wie bei André Duracell.