Klangtapeten mit Widerhaken, ansprechende Stumpfheit: Künstler Treu jetzt als Ufo Hawaii und Nerd School mit dem Debüt

Es gab Zelig. Es gab Forrest Gump. Und es gibt Achim Treu. Nicht berühmt, aber überall dabei. Über die Jahre taucht er immer wieder auf, mal überraschend, mal einfach so. Eine geheimnisvolle Figur, die nicht so recht zu fassen ist. Ein Mann ohne Eigenschaften, der aber deutlich seine Spuren hinterlässt.

Sein neuestes Projekt nennt Treu mit dem nicht ganz unbescheidenen Beinamen „Künstler“ Ufo Hawaii – also genauso wie seine monatliche Show auf dem Webradio Byte FM. Und so hört sich sein neues Album „Full Fathom Five“ auch an: Das Dutzend Tracks, das Treu aus seinem reichhaltigen Fundus ausgewählt hat, wirkt in seiner Gänze wie altmodisches Mitternachtsradio, in der noch ein echter Mensch die Platten ausgewählt hat: Also einerseits extrem einschläfernd, andererseits sehr persönlich und entsprechend spannend. Die meisten der Stücke funktionieren wie eine elektronische Klangtapete, Mit Widerhaken. Ätherische Vocals flirren durch den Raum, während Sequenzer gemütlich pluckern, dann plötzlich eine arabische Atmosphäre, während Treu in einem holprigen Deutsch singt. Mit „Full Fathom Five“ ist Treu ein wirklich hörenswerter Spagat gelungen. Das Album klingt einheitlich, verschafft aber doch auch einen gewissen Einblick in oder zumindest eine gewisse Ahnung von seinen vielen verschiedenen Aktivitäten. Und davon gab es einige: Geboren in den Sechzigern als Sohn eines süddeutschen Schiffers und einer polnischen Kurtisane, so die Legende, wächst Treu auf Kanälen auf. Bereits als Kind hört er balinesische Gamelan-Musik und liebt Alice Cooper, später begeistert er sich für Brian Eno. In den Achtzigern gründet er Dauerfisch, wird zum Fixpunkt im Underground, mischt mit bei solchen Projekten wie Sea Of Tranquility, The LaLaVox Box oder Nicoletta. Er arbeitet mit dem legendären John Appleton, schreibt Filmmusiken, spielt anderthalb Jahre bei der Berliner Artrock-Institution Mutter, geht mit Alec Empire auf Tour, und als sich 2003 die legendäre Neue-Deutsche-Welle-Kunstkonzeptband Der Plan neu gründet, ist auch da Treu dabei.

Sehr viel übersichtlicher dagegen die Biografie, Einflüsse und Musik von Nerd School. Das seit 2009 existierende Duo entfesselt auf seinem Debüt „Ready Set Go“ allein mit Gitarre und Schlagzeug eine erstaunliche Wucht. Wen diese Besetzung an eine recht erfolgreiche Band erinnert, der liegt nicht so völlig falsch: Wären die White Stripes nicht so große Blues-Fans, sondern ständen eher auf die Schnittmenge zwischen AC/DC und Metallica, dann klängen sie wohl so wie Nerd School.

Thomas Castro Molina Crowe und Lars Derrenger Gyllenhall, wie die beiden aus Essen und Berlin stammenden Musiker angeblich heißen, bemühen sich zwar um Tempo- und Stimmungswechsel, erkunden kurz den Hardcore oder spielen auch eine konventionelle Hard-Rock-Ballade. Aber wirklich großartig ist es, wie sie das eingeschränkte Setting nicht überfrachten, sondern sich einlassen auf die unvermeidliche Stumpfheit. Warum kompliziert, wenn’s auch einfach geht? THOMAS WINKLER

■ Ufo Hawaii: „Full Fathom Five“ (Beats Beyond/Groove Attack), nächste Sendung 23. 6. auf byte.fm

■ Nerd School: „Ready Set Go“ (POTTpeople)