Legenden der Entschleunigung

DOOM Saint Vitus sind die einzig legitimen Statthalter von Black Sabbath. Ihr neues Album „Lillie: F-65“ präsentieren sie am Sonntag in intimer Club-Atmosphäre im Römer

In einer Zeit, als Punk zu Hardcore mutierte, die Songs immer schneller und kürzer wurden, spielten sie im Zeitlupentempo

VON ANDREAS SCHNELL

Nie war es so schön, zu spät geboren zu sein, wie beim Hören der alten Platten von Saint Vitus. Und nie gab es einen schöneren Ersatz für Black Sabbath. Man könnte eigentlich sogar sagen, dass sie sich gleich mehrmals die Klinke in die Hand gaben.

Das kam so: Black Sabbath, die um 1970 herum ganz wesentlich die Grundlagen für das legten, was wir heute Heavy Metal nennen, trennten sich Ende der siebziger Jahre von ihrem Sänger Ozzy Osbourne. Da standen in Los Angeles schon ein paar Typen in den Startlöchern, die mit ihren Songs weiterführten, was Black Sabbath mit „Black Sabbath“, „Iron Man“ oder dem „St. Vitus Dance“ in die Welt gesetzt hatten: eine bis dahin unerhörte Rockmusik, die wegen der heruntergestimmten Gitarren, der düsteren Texte und der, wie es einmal ein Rockkritiker so schön formulierte, „enervierend jammernden“ Stimme von Ozzy Rockmusik eine neue, böse Qualität verliehen. Zwar machten Sabbath nach dem Ausstieg Ozzys recht ungeniert weiter, aber ohne ihn war es irgendwie nie wieder so schön.

Dave Chandler, Armando Acosta, Mark Adams und Scott Reagers jedenfalls waren bereit, zu übernehmen. Ihr erstes Album erschien schließlich 1983 bei SST Records, dem wichtigsten Label der achtziger Jahre. Dort hatte man ein Herz für Freaks, und das waren Saint Vitus ohne jeden Zweifel. In einer Zeit, als Punk zu Hardcore mutierte, die Songs immer schneller und kürzer wurden, spielten sie im Zeitlupentempo, sahen aus wie waschechte Hippies und sangen, sie seien „Born Too Late“, zu spät geboren.

Reagers verließ die Band noch, bevor allerdings jener Song veröffentlicht wurde. Die Ehre, mit „Born Too Late“ der Doom-Rock-Szene ihre inoffizielle Hymne zu singen, wurde einem gewissen Scott Weinrich zuteil, der schon von Kindesbeinen an „Wino“ gerufen wurde. Ein Kosename, den er später leider mit allzu viel Leben füllte, denn ein „Wino“ ist im amerikanischen Umgangsenglisch ein Säufer.

Bis die Drogen ihren Tribut forderten, formulierten Saint Vitus auf drei Langspielplatten ihre Musik mustergültig aus. Dann entschied Wino, seiner vorherigen Band „The Obsessed“ eine Chance zu geben. Was nochmal eine ziemlich lange Geschichte einer ziemlich legendären Band wäre, die sich übrigens auch wieder zusammengetan hat.

Saint Vitus spielten weiter, eine Zeit lang mit ihrem ersten Sänger, aber schließlich zerbrach die Band Mitte der neunziger Jahre. Kurz bevor Black Sabbath einen weiteren Versuch mit Ozzy unternahmen … Und kaum war diese Episode vorerst wieder einmal beendet, tauchten auf einmal Saint Vitus wieder auf – in der klassischen Besetzung mit Wino, der die neunziger Jahre eigener Aussage zufolge ganz unten verbrachte: „Ich musste erst fünf Jahre völlig unproduktiv sein, Zeit verschwenden, um schließlich aufzuwachen und meinen Lebensstil zu ändern und wieder fokussiert zu sein.“

Im April dieses Jahres erschien nun das erste neue Saint-Vitus-Album seit 1995 – und das erste mit Wino seit 1990.

„Lillie: F-65“ (Season Of Mist) heißt das Werk, benannt nach einem Beruhigungsmittel, das Dave Chandler einst bevorzugte. Und es klingt, als sei die Zeit stehen geblieben. Ohne jegliche Modernismen setzen Saint Vitus scheinbar bruchlos an, wo sie einst aufhörten. Dave Chandler ist immer noch ein Meister langsam rollender Riffs und explodierender Krach-Soli, Winos Stimme klingt vielleicht noch ein bisschen seelenvoller.

Dass sie nun – zum ersten Mal übrigens – in Bremen spielen und das ausgerechnet im nicht eben großen Römer, verdankt man übrigens Wino, dem es bei einem Auftritt vor ein paar Monaten dort so gut gefiel, dass er wiederkommen wollte.

■ Sonntag, 20 Uhr, Römer