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FRAKTION Die Piraten wählen Christopher Lauer und Andreas Baum zur neuen Doppelspitze – und nach neun Monaten Parlament den Weg in die Professionalisierung

VON KONRAD LITSCHKO

Wie sich die Zeiten ändern. Keine Viertelstunde dauert die Wahl, dann hat die Piratenfraktion eine neue Doppelspitze: Christopher Lauer und Andreas Baum, die beiden Profilierten. Ohne Bewerbungsreden, ohne Diskussion, fast ohne Gegenkandidaten.

Nicht erst die Sondersitzung zur Neuwahl des Vorstands am Freitag, mit der sie sich in ihre erste Sommerpause verabschiedet, zeigt: Die Partei ist eine andere als bei ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus vor 9 Monaten.

Nicht im Weg stehen

Damals, im September, hatten sechs der neuen Abgeordneten die für den Fraktionsvorsitz kandidiert. Es wurde um Stimmen geworben, hitzig diskutiert. Am Ende machte der ausgeglichene Baum das Rennen. Am Freitag zogen Simon Kowalewski und Fabio Reinhardt noch vor der Wahl ihre Kandidaturen zurück – man wolle anderen, denen der Posten „wichtiger“ sei, nicht im Wege stehe. Einzig der 46-jährige Physiker Wolfram Prieß bewirbt sich spontan. „Damit das hier nicht in ein abgekartetes Spiel verfällt.“ Er hat keine Chance: Die 15 Fraktionäre wählen Baum mit 12, Lauer mit 10 Stimmen. Prieß bleiben 6. Die Piratenrunde applaudiert freundlich.

Die Doppelspitze sei nötig, hatte Baum zuvor erklärt, weil sich der alte, fünfköpfige Vorstand als „überflüssig“ herausgestellt habe. Stattdessen soll Baum nun als Vorsitzender nach innen und Lauer nach außen wirken. Letzterer besiegte mit der Wahl auch sein Stigma als ewig Zweiter: Im September war der eloquente 28-Jährige mit seiner Kandidatur zum Fraktionschef noch arg enttäuscht gescheitert, ebenso wie zuvor als Bundesvorsitzender der Piraten. „Ungewöhnlich, wurde gewählt“, konnte Lauer diesmal twittern.

Auch gewählt wurde der 24-jährige Jurastudent Heiko Herberg als neuer parlamentarischer Geschäftsführer. Er folgt auf Martin Delius, der am Mittwoch seinen Rückzug erklärt hatte. Auch hier: keine Gegenkandidaten. Immerhin kommt der Antrag durch, den Vorsitz statt alle zwei Jahre nun jährlich zu wählen.

Man könnte es fast langweilig nennen. Oder professionell. Zuletzt reagierten die Piraten auf verbale Fehltritte flugs mit Rücktritten und einer eigens einberufenen Konferenz zu Diskriminierung. Als der Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner von einem „Tittenbonus“ twitterte, folgte umgehend per Mitteilung eine Entschuldigung. Und Delius erklärte seinen Rückzug als Geschäftsführer mit der Vorbereitung auf die erste Großaufgabe der Partei, die er gründlich anzugehen gedenke: Sie soll nach der Sommerpause den von der Opposition geplanten Untersuchungsausschuss zum Platzen der BER-Eröffnung leiten.

Weniger Anklang fand in der Partei, dass sich die Fraktion diese Woche in Potsdam zu einer viertägigen Klausur traf – nichtöffentlich. Mitglieder sahen die Ankündigung, dass dort auch „Strategisches“ diskutiert werde, als Verrat am Transparenzgebot der Partei. Baum gestand eine „katastrophale Kommunikation“. Eigentlich sei es nur darum gegangen, die persönlichen Belastungen der Abgeordneten aus den ersten Monaten zu klären. „Und das muss keiner vor Kameras tun“, so Baum.

Claus-Brunner, diesmal in hellblauer Latzhose, sagt: „Die Leichtigkeit des Anfangs ist verschwunden.“ Es wäre Quatsch, zu glauben, die Partei würde sich durch den Parlamentseinzug nicht verändern. „Aber manchmal geht das doch ein bisschen schnell.“