BETTINA GAUS MACHT
: Das dreifache Lottchen

Gabriel, Steinmeier und -brück: Wie viel Erziehung braucht die Öffentlichkeit? Und wie viel die SPD?

Die Spannung steigt. Sigmar Gabriel findet, dass sich Kommunalpolitiker – also nicht solche Leute wie er – um innerstädtische Geschwindigkeitsbegrenzungen kümmern müssen. Frank-Walter Steinmeier sieht das ähnlich. Aber was sagt Peer Steinbrück? Was sagt Peer Steinbrück?? Solange der sich nicht geäußert hat, so lange kann man nicht ja wissen, welche Haltung die ruhmreiche deutsche Sozialdemokratie zum wichtigen Thema Tempo 30 einnimmt.

Man weiß ja ohnehin nicht so recht, ob die SPD derzeit eine Haltung hat. Und wozu. Was vor allem am etwas unentschlossenen Führungspersonal liegt.

Schließlich mag sich das dreifache Lottchen nicht einmal bei kurzen Ausflügen trennen und reist nur gemeinsam in die Fremde, selbst zu guten Freunden wie dem französischen Präsidenten François Hollande. Spätestens jetzt weiß man, dass gar keine Position der Partei verlässlich ist, solange nicht alle drei Gefährten das Wort ergriffen haben. Tempo 30 bleibt also vorläufig eine offene Frage. So lange, bis Peer Steinbrück auf eine Kanzel klettert.

Es waren Verkehrsexperten von SPD und Grünen, die vor einigen Tagen angekündigt hatten, im Wahlkampf gemeinsam für Kriechtempo in Innenstädten zu streiten. Man stelle sich mal vor, Fachpolitiker der Union oder der FDP würden ohne Absprache mit Regierung oder Fraktionsführung so vorpreschen. Holla, die Waldfee! Das täten die kein zweites Mal. Aber die Lottchen von der SPD sind so damit beschäftigt, sich gegenseitig zu belauern, dass sie nicht auch noch Zeit für ein abgestimmtes Wahlkampfkonzept haben.

Außerdem liegt der Vorstoß der Verkehrsexperten ja durchaus auf Linie. Seit Jahren fühlt man sich von der Opposition richtig gut beschützt: Sie kämpft gegen dicke Kinder, gegen Zigaretten, gegen schnelle Autos. Und wenn die SPD regieren darf wie in Hamburg, dann kann sie wenigstens auf Bundesebene noch die vertraute Rolle der Opposition geben. Der Senat der Hansestadt zeigt deutschlandweites Engagement. Für ein völliges Alkoholverbot am Steuer.

In öffentlichen Verkehrsmitteln darf in Hamburg bereits seit letztem Jahr kein Alkohol mehr getrunken werden. Ich glaube, dass ich das sowieso in meinem ganzen Leben noch nicht getan habe. Aber seit ich in diesem Zusammenhang per Aufkleber auf S-Bahn-Fenstern kumpelhaft aufgefordert werde, „mitzumachen“ – was immer das heißen mag –, seither wird das Bedürfnis fast unwiderstehlich, demonstrativ einen Flachmann aus der Tasche zu ziehen. Ich habe es so satt, in immer mehr Bereichen meines Alltags reglementiert zu werden. Es ist nur zu meinem eigenen Besten und im Interesse der Allgemeinheit, ich weiß. Aber ich habe es trotzdem satt.

„Die selbstgerechten Gesinnungsterroristen, die genau wussten, was richtig und was falsch ist – das waren doch früher immer die anderen“, sagt eine Freundin fassungslos. Nichtraucherin, engagierte Umweltschützerin, seit 30 Jahren aus Überzeugung ohne Auto unterwegs. Und mit einer ausgeprägten Abneigung dagegen, von der Politik erzogen zu werden.

Aber selbst wenn man neue Vorschriften liebt: Gibt es wirklich keine dringenderen Themen? War da nicht noch was? Na, egal. Es ist ja tröstlich, dass es durchaus eine Opposition in Deutschland gibt. In Gestalt des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: K. Behling