Schambereich in Augenhöhe

„Textilkunst aus Litauen“ im Neuköllner Körnerpark: Junge Künstlerinnen kümmern sich strickend, häkelnd, webend und auch eine gute Portion augenzwinkernd um weibliches Traditionshandwerk. Und sagen beschwingt Adieu zum Heimchen am Herd

VON JAN KEDVES

In der strengen Hierarchie der Kunstgattungen dümpelt die Textilkunst irgendwo unter „ferner liefen“, weit abgeschlagen hinter den heroischen Disziplinen Malerei, Architektur und Bildhauerei. Das kann man beweinen, sicherlich, man kann aber auch etwas dagegen unternehmen: Die litauischen Künstlerinnen, die derzeit in der Galerie im Körnerpark in Neukölln ausstellen, wollen die Textilkunst, die in ihrem baltischen Heimatland auf eine lange Tradition zurückblicken kann, nicht unversucht und weit abgeschlagen im Feld künstlerischer Produktivität ihrem Schicksal überlassen.

Gobelin-, Web-, Häkel-, Strick- und Sticktechnik: Disziplinen wie diese werden von ihnen entstaubt und mit geschlechterpolitischen Überlegungen unterfüttert. So überzeugen in der Ausstellung „Textilkunst aus Litauen“ diejenigen Exponate am stärksten, die eine Beschäftigung mit dem Stigma der Textilkunst als „weibliche Kunst“ erkennen lassen. Dass dabei teilweise kaum noch Stoff übrig bleibt, erscheint nicht weiter tragisch. Die drei Küchenschürzen von Almyra Weigel etwa, die nicht vor Spritzern schützen, dafür aber Frauenstereotypen entblößen: das blütenweiße Modell „Jungfrau“, das aus Haaren gefertigte Modell „Friseuse“ oder das mit Zucker, Kaffee und Gewürzen befleckte Modell „Hausfrau“. Die Schürzen zeigen viel Bein und betonen die ausgesucht schlanke Taille ihrer imaginierten Trägerin: Der Schnitt scheint von einem Mann zu stammen.

Noch offensiver mit voyeuristischen Blicken spielen die „Frauen-Archetypen“ von Laima Orzekauskiené: vier wandhohe, aus Goldfäden und braunen Frauenhaaren gewebte Gobelins, die nackte weibliche Torsi abbilden. Die Schambereiche hängen verdächtig in Augenhöhe der Betrachter, doch ein Neugieriger, der ihnen zu nahe tritt, um zu prüfen, ob dort auch tatsächlich das entsprechende Haar verarbeitet wurde, wird enttäuscht. Die Genugtuung bleibt auf Seiten der Künstlerin.

Andere Arbeiten thematisieren humorvoll Dysfunktionalität im Haushalt: Zydré Ridulyté kombiniert Metallverschlüsse, wie man sie von altmodischen Oma-Geldbörsen kennt, mit Baumwollschlaufen, die am ehesten an überlange Gürtel erinnern. „Befreite Dinge“ nennt sie diese Funktionskurzschlüsse, die sich weder enger schnallen lassen noch einen effektiven Beitrag dazu leisten, das Haushaltsgeld strikt beisammenzuhalten. Severija Incirauskaité zeigt große, mit Löchern übersäte Topfdeckel: Dass sie die Löcher mit traditionellen litauischen Blumenstickereien kaschiert hat, wirkt nebensächlich, viel wichtiger scheint ihr, dass die Deckel eben nicht mehr ganz dicht sind. Unbrauchbarkeit in der Küche: Incirauskaité nennt das Werk ganz folgerichtig „Das Leben ist schön“.

Legen die Exponate durchaus die Vermutung nahe, ihre Urheberinnen würden ihrer Heimat Litauen noch einigen Nachholbedarf in Sachen Gleichstellung und Selbstverständnis der Frau attestieren, liegen die Ansätze doch gar nicht so weit entfernt von denen anderer, westlicher Künstlerinnen – etwa der Deutschen Rosemarie Trockel, die in der Ausstellung „25 Jahre Sammlung Deutsche Bank“ zuletzt mit einem ihrer berühmten wollenen „Strick-Bilder“ ihre Kanontauglichkeit unter Beweis stellte. Aber auch Popmusikerinnen bearbeiten mittlerweile ähnliches Terrain: Missy Elliott beispielsweise nennt ihr jüngstes Album „The Cookbook“, und Cocorosie singen „All I wanted was to be your housewife“. Es ist dieses mehr verschmitzte als gekränkte Erinnern an die ehemals unausweichliche Karriere als Heimchen, das letztlich umso deutlicher die Souveränität und die Selbstbestimmtheit herausstreicht, die in der Zwischenzeit erlangt wurden.

Bei so viel weiblicher Selbstironie wundert es dann kaum noch, dass der einzige Beitrag zur Ausstellung, der nicht von einer Frau stammt – ein recht offensichtlich an Jackson Pollock angelehntes Gobelin-Triptychon von Feliksas Jakubauskas mit dem Titel „Leinenfeld im Himmel“ – zugleich das mit Abstand langweiligste Exponat ist.

„Textilkunst aus Litauen“. Noch bis24. Juli, Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, Di.–So. 12–18 Uhr