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: HELMUT HÖGE über Sichmessen

„Alle sollen sich begegnen!“ (Bundespräsident Horst Köhler)

Nach dem Mauerbau 1961 verließen laut Wolfgang Neuss „die schlimmsten Leute“ die Stadt. Aus ihren großen Wohnungen links und rechts des Ku’damms wurden Studenten-WGs. In den 70er-Jahren sickerten die Reichen jedoch langsam wieder in das Weichbild Westberlins ein. Der Senat tat das Seinige dazu und beschloss, das Messegelände am Funkturm aufzumotzen: mit einem ebenso protzigen wie Zukunftsoptimismus ausstrahlenden Internationalen Congress-Centrum (ICC) – 162.000 Quadratmeter groß und metallic glänzend; eine dreigeschossige Brücke verbindet es mit dem alten Nazimessen-Wehrbau.

1979 wurde das Ungetüm eingeweiht. Die dafür zuvor ausgewählten Hostessen waren fast durchweg Ausländerinnen, damit für jeden internationalen Messegast ein „kompetenter Ansprechpartner“ bereit stand. Die jungen Damen trugen erst hellgelbe, später blaue Kostüme – und repräsentierten die moderne, weltoffene Prä-Benetton-Gesellschaft.

Das empfanden viele der Hostessen auch selbst so. Einige wurden 1985 zur Bundesgartenschau (Buga) nach Britz abkommandiert, nachdem die dortigen Landschaftsarchitekten sie geschult hatten: „Das war zwar dort auch ganz interessant, hatte aber nicht dasselbe Flair“, sagt eine philippinische Amerikanerin, die heute gleich nebendran in Britz wohnt.

Für die Gestaltung des „Britzer Gartens“, der zuvor aus Äckern und Schrebergärten bestand, hatten die Planer ebenfalls das neueste ökologische und gärtnerische Wissen aus aller Welt angewandt. Besonders bangten sie dann um die in ein „Feuchtbiotop“ verpflanzten zwölf Kopfweiden. Diese werden deswegen noch jetzt von einigen der damals mitfühlenden Hostessen besonders geschätzt.

Der Britzer Garten war der Messegesellschaft zur Verwaltung übergeben worden, ebenso die weitgehend nutzlose, bereits 1957 eingeweihte Kongresshalle im Tiergarten, die 1980 zu allem Überfluss auch noch einstürzte. Zum Glück kam dabei wenigstens keine der dort noch immer blau gekleidet herumlaufenden Hostessen zu Schaden. Und: Die Kongresshalle wurde wieder aufgebaut – Ehrensache! –, dann aber zu einer Multikultifunktionshalle umgewidmet.

Seit einigen Jahren wird nun diskutiert, ob das ICC abgerissen werden soll (was wahrscheinlich Ende des Jahrzehnts dann auch geschieht). Es ist unwirtschaftlich – zu viele Gänge, Galerien und Garderoben, sagen Kritiker. Außerdem würde eine notwendige Sanierung über 200 Millionen Euro verschlingen, obwohl die Immobilie zurzeit bloß noch 20 Millionen wert ist. Dem steht entgegen, dass das ICC just zum „weltweit besten Kongresszentrum 2004“ gewählt wurde, woraufhin einige SPD-Abgeordnete lauthals verkündeten, es sei ein „Juwel, das man in der Stadt nur nicht zu schätzen“ wisse.

Prompt investierten dann auch die Messeleitung und die „Berlin Tourismus Marketing“ noch schnell 500.000 Euro in das laut Bild-Zeitung „marode Alu-Raumschiff“: für neue Lichtregieanlagen, Großbildwände und „Salon“-Ausbauten. Und das tat anscheinend seine Wirkung, denn nun wurde soeben beschlossen, statt das ICC für 30 Millionen doch lieber für 10 Millionen die Deutschlandhalle schräg gegenüber abzureißen, um an seine Stelle ein weiteres Kongress-Zentrum für 63 Millionen zu errichten. Bis dieses 2009 steht, will man das ICC, das jetzt jährlich 14 Millionen Minus macht, zu einem „gewerblichen Lifestyle-Zentrum“ umbauen. Die Messeleitung denkt dabei unter anderem an eine „Dauerspielstätte für Musicals“.

Aber auch die Musicaltheater mit ihrer Fließbandleistungs-Ästhetik machen inzwischen fast alle Minus. Der PDS-Wirtschaftssenator will wohl auch deswegen prüfen lassen, ob man das ganze Scheißding nicht einfach zu einem gigantischen Einkaufscenter ausbauen könnte: Mehr als doppelt so groß wie das derzeit am Alexanderplatz entstehende, inklusive des dortigen „Congress Centrums Berlin“.

Das Problem ist nur, dass am ICC in weitem Umkreis niemand wohnt – und außerdem: dass alle relevanten Städte (Stuttgart, Frankfurt, Hannover, Bremen, und so weiter) derzeit wie blöd ihre Messegelände erweitern und aufrüsten, weil das ein „Top-Standortvorteil“ ist und auch die Hotels darauf dringen, damit ihre Bettenbelegungsquote stimmt.

In Berlin boomt diese nur bei den Billig-Jugendhotels, weswegen immer mehr leer stehende Büroetagen dazu umgewandelt werden. Die Backpacker gehen aber nicht auf Messen, höchstens wenn dort – wie zuletzt im ICC – „Bruce Springsteen unplugged“ auftritt. Dann taucht auch die erste internationale Generation der ICC-Hostessen dort wieder auf: „Aber wird sind jedes Mal weniger.“