Hochzeit der Verschwörungstheoretiker

Das Internationale Olympische Komitee vergibt die Sommerspiele 2012. Fünf Metropolen sind im Lostopf. London hofft auf den Haha-Effekt

DUBLIN taz ■ „Ganz Großbritannien steht hinter der Olympiabewerbung“, sagte Tony Blair. „Ich bin hier hergekommen, um deutlich zu machen, dass die Bewerbung die geradezu enthusiastische Unterstützung der Bevölkerung, aller politischen Parteien und der Regierung hat.“ Der britische Premierminister ist am vergangenen Sonntag trotz des G8-Gipfels in Schottland nach Singapur gereist, um das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu überreden, bei der Abstimmung am Mittwoch die Spiele 2012 nach London zu vergeben.

Zwanzig der 116 stimmberechtigten IOC-Mitglieder haben sich angeblich noch nicht festgelegt. Blair blieb nichts anderes übrig, als nach Singapur zu reisen. Schließlich sind auch sein schärfster Rivale, Staatspräsident Chirac, sowie die Ministerpräsidenten José Zapatero und Michael Fradkow für Madrid und Moskau anwesend. New York als fünfte Bewerberstadt hat Hillary Clinton und Muhamad Ali entsandt. Alle bringen eine Hundertschaft von Sportstars und Funktionären mit. Die Londoner Delegation wird vom Bewerbungschef Sebastian Coe, dem Doppelolympiasieger über 1.500 Meter, geleitet.

Auch David Beckham, der Fußballer, flog nach Singapur. Boris Becker hat ein Grußwort geschickt. Er fände es fantastisch, schrieb er, wenn das olympische Tennisturnier in Wimbledon ausgetragen würde. Selbst Londons Bürgermeister, der „Rote Ken“ Livingstone, der von Blair aus der Labour Party hinausgeworfen und wieder aufgenommen wurde, weilt in Singapur.

„London bietet den Athleten die besten Spiele“, findet Livingstone. „Wir stehen kurz vor dem größten Preis, den der Sport zu vergeben hat.“ Paris ist nach wie vor Favorit. Aber die Londoner setzen darauf, dass New York frühzeitig ausscheidet und die Stimmen auf London übergehen. Es geht also vor allem darum, die erste Wahlrunde zu überstehen. Dann gewinnt London, glaubt Craig Reedie, der Chef des britischen Olympiaverbandes. „Wir finden, das wir jetzt dran sind“, sagt er. „Wir sind das einzige der Bewerberländer, das seit 25 Jahren keine Olympischen Spiele ausgerichtet hat.“

Die Briten haben es drei Mal im vergangenen Vierteljahrhundert versucht, zweimal sind sie mit Manchester gescheitert, einmal mit Birmingham. Diesmal sollen sie mit London scheitern – das wünscht sich eine Interessengemeinschaft von 308 Geschäftsleuten, die auf Marshgate Lane angesiedelt ist. Dort soll, falls London gewinnt, das neue Olympiastadion gebaut werden; doch die Regierung habe ihnen Entschädigungen weit unter Marktwert angeboten, beschweren sich die Geschäftsleute.

Attacke gegen Paris

Es gibt auch andere negative Stimmen. Richard Williams schrieb im Guardian, dass es der Londoner Bewerbung an Glaubwürdigkeit fehle. So habe die Regierung die Finanzierung des Picketts-Lock-Stadions zurückgezogen, wo in diesem Jahr eigentlich die Leichtathletik-WM stattfinden sollte. Und der Hickhack um den Neubau des Wembley-Stadions zeuge auch nicht gerade von olympischer Reife. Williams meint, dass die Spiele nicht aufgrund von Versprechungen vergeben werden dürfen: „Ich lebe in einem Land, das aufgrund falscher Versprechungen in den Irakkrieg gezogen ist.“

Wie bei solchen Entscheidungen stehen Verschwörungstheorien hoch im Kurs. Duncan Mackay, der britische Sportjournalist des Jahres, monierte, der 124-seitige IOC-Bericht von Anfang Juni erwähne nicht, dass London die Spiele zweimal gerettet hat: 1908 nach Ausbruch des Vesuv, als Rom in letzter Minute absagen musste, und 1948 nach dem Weltkrieg. Außerdem sehe der Bericht über die schlechten Sichtverhältnisse im Stade de France hinweg. Der Architekt Rod Sheard schlug in die gleiche Kerbe. Das Stadion tauge nur für „Rugby und Fußball“. Jim Sloman, einer der Organisationschefs der Sydney-Spiele, empfahl Paris, am besten eine neue Arena aus dem Boden zu stampfen. Paris reagierte beleidigt. „Wenigstens haben wir schon ein Stadion“, erwiderte Bürgermeister Bertrand Delanoe.

Journalist Mackay glaubt, dass Gilbert Felli, der frankophile Geschäftsführer der olympischen Bewertungskommission, für den Bericht verantwortlich ist. Mackays Kollegin, Tanya Gold, gräbt in der Geschichte. „Prinz Albert, der Mann von Königin Victoria, war Deutscher, aber er wählte London als Wohnsitz, und nicht Paris. Das kann doch kein Zufall sein.“ Darüber hinaus hätten die Londoner mehr Humor als die Pariser, glaubt Gold. In der britischen Hauptstadt gebe es eine Haha-Straße, erwähnt Gold. Früher durchzog ein Graben die Straße, und wenn jemand hineinfiel, riefen die anderen: „Haha!“ Mittwochmittag entscheidet sich, wer diesmal Grund zur Schadenfreude hat.

RALF SOTSCHECK