ALBANIEN MACHT FORTSCHRITTE – DIE EU MUSS DAS JETZT BELOHNEN
: Wähler demokratischer als Politiker

Nein, die Reifeprüfung hat Albanien am vergangenen Sonntag leider nicht bestanden. Drei Tote, Einschüchterung von Wählern, schlampig geführte Wahllisten und versuchte Mehrfachabstimmungen – von einer Erfüllung demokratischer Wahl-Standards kann da keine Rede sein. Doch auch wenn es zynisch klingt: Dieser Urnengang ist ein Fortschritt. Alle Wahlen seit 1991 waren von massiven Wahlrechtsverletzungen sowie gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet und fanden in einem Klima der Angst statt. Demgegenüber hat die Mehrheit jetzt mit ihrem friedlichen Votum deutlich gemacht, dass sie demokratische Wahlen sowie den Respekt des Wählerwillens als schützenswertes Gut betrachtet.

Viele Albaner haben sich gewandelt – ein Reifungsprozess, der auch durch den Druck der internationalen Gemeinschaft befördert wurde. Anders sieht es dagegen beim Großteil des politischen Establishments aus, insbesondere bei den Anführern der großen Parteien, Regierungschef Fatos Nano und Ex-Staatschef Sali Berisha. Beide entblödeten sich nicht, erneut kurz nach Schließung der Wahllokale den Sieg für sich zu reklamieren und durch ihre Anhänger die Auszählung zu behindern.

Noch ist unklar, ob auch noch der zweite Teil des bekannten Programms abgespult wird. Das hieße: zunächst Ausschreitungen und Randale der Anhänger der unterlegenen Partei und danach ein Boykott der parlamentarischen Arbeit durch die Opposition. Sollte es zu diesem Szenario kommen, wäre das nur ein weiterer Beweis dafür, dass Leute vom Schlage Nanos und Berishas demokratische Spielregeln noch längst nicht verinnerlicht haben.

Sollte jedoch die Europäische Union daraus die Konsequenz ziehen, das kleine Balkanland auf unbestimmte Zeit in der Warteschleife hängen zu lassen, wäre das ein großer Fehler – vor allem im Hinblick auf eine Stärkung der demokratischen Kräfte. Vielmehr muss Brüssel jetzt den Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens vorantreiben. Das ist immer noch die beste Voraussetzung dafür, dass bei den nächsten Wahlen wirklich auch die Demokratie siegen wird. BARBARA OERTEL