berliner szenen
: Ist das schon Mobbing?

Ein Mädchen und seine Mutter setzen sich in der S-Bahn in die Dreiersitze mir gegenüber. Das Mädchen ist vielleicht zwölf Jahre alt, trägt einen Schulrucksack und wippt nervös mit dem Fuß. Die Mutter sieht starr nach vorn und wirkt irgendwie genervt. Das Mädchen holt eine Papiertüte aus der Jackentasche und faltet die Tüte auf und zusammen, auf und wieder anders zusammen. Es knistert. Das Mädchen niest, fährt sich mit der Hand unter die Maske, seufzt, wippt, steht auf und setzt den Rucksack ab, faltet wieder die Papiertüte. Die Mutter sieht es jetzt von der Seite an und sagt: „Jetzt gib doch mal Ruhe. Das ist ja nicht auszuhalten. Und wo ist überhaupt schon wieder deine Mütze?“

Das Mädchen sagt: „Oh, die Mütze.“ Es legt einen Finger an die Maske und verdreht die Augen, als würde es überlegen, steht auf, sieht nach der Mütze, setzt sich wieder, öffnet seinen Rucksack. Keine Mütze. Es zuckt mit den Schultern und sagt: „Ich weiß es nicht.“ „Und die Handschuhe?“, fragt die Mutter und seufzt. Das Mädchen kramt in seinen Taschen und findet einen Handschuh, steht wieder auf, setzt sich wieder und öffnet seinen Rucksack, aber der zweite Handschuh bleibt verschwunden. „Ich versteh das nicht“, sagt die Mutter. „Was ist so schwer daran, auf Handschuhe und Mütze zu achten? Das ist jetzt das dritte Mal und du brauchst das auf dem Rad.“ Das Kind guckt ausdruckslos, wippt wieder mit dem Bein und faltet die Papiertüte.

„Jasmin“, ruft die Mutter etwas schrill. „Hör endlich auf, das nervt.“ Das Mädchen lässt die Papiertüte fallen, verschränkt die Arme, lehnt sich schmollend nach hinten und sagt: „Mann, lass mich! Ich werd von dir gemobbt.“ Die Mutter guckt zur Tochter, guckt zu mir, wieder zur Tochter und sagt trocken: „Du wirst nicht gemobbt, Kind. Du wirst bemuttert.“

I sobel Markus