Rechtsdrall nützt Linksbündnis

Lafontaines „Fremdarbeiter“-Rhetorik könnte am Wahlabend durchaus belohnt werden, urteilt Meinungsforscher Güllner. Was tun? Brandenburgs Innenminister Schönbohm droht mit dem Verfassungsschutz. Doch der schweigt dazu lieber nur

AUS BERLIN ASTRID GEISLER

Wann immer Oskar Lafontaine in den letzten Tagen in ein Mikrofon sprach und seine „Fremdarbeiter“-Äußerungen rechtfertigte, das Echo der Empörten folgte prompt: Der frühere SPD-Chef setze auf „Nazi-Sprech“, er buhle um NPD-Wähler, sein Populismus sei inakzeptabel. Doch bei vielen Wählern kommt die eindeutig zweideutige Rhetorik des WASG-Spitzenkandidaten offensichtlich besser an als die kollektive Entrüstung darüber.

„Einen Knick nach unten in der Wählergunst konnten wir nach keinem seiner Auftritte feststellen“, sagte Manfred Güllner, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa, der taz. „Wahltaktisch ist dieser Kurs vermutlich gar nicht falsch.“

Güllner sieht dafür verschiedene Gründe: Zum einen könne Lafontaine mit diesem Kurs bei einem rechtspopulistischen Wählerpotenzial punkten, für das in Deutschland bisher meist der passende Kandidat gefehlt habe. Güllner schätzt dieses Potenzial auf gut zwölf Prozent der Wählerschaft. Es handele sich um Menschen aus unteren und mittleren Schichten, die sich „subjektiv benachteiligt“ fühlten. Lafontaine spreche auf diese Weise also ähnliche Wählergruppen an wie seinerzeit Ronald Schill in Hamburg oder der Rechtspopulist Jörg Haider in Österreich.

Zum anderen sieht Güllner bisher keine Anzeichen dafür, dass Lafontaines Äußerungen im größeren Stil die bisherige Klientel der PDS verschreckten – und der Meinungsforscher findet auch das nicht überraschend: Schließlich sei die Partei zwar „offiziell ideologisch links“, habe aber keine homogene „klassisch linke“ Wählerschaft. Als Beleg nennt Güllner eine Studie über die Anhänger der Haider-Partei in Deutschland: Die Demoskopen fanden sie vor allem unter den treuen Fans von Altkanzler Helmut Kohl – und in der Wählerschaft der PDS.

Wie sollen die politischen Gegner reagieren auf die neue populistische Konkurrenz, wenn moralische Empörung als Mittel offenbar nicht zieht? Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) versuchte es gestern mit einem populistischen Gegenangriff: „Der Sozialist Lafontaine sucht offenbar bei den Neonazis seine Wähler. Wenn er so weitermacht, könnte das ein Fall für den Verfassungsschutz werden“, drohte er via Bild. Lafontaine, ein Fall für den Verfassungsschutz? Ein Rechtsextremist? Oder lieber ein Linksextremist?

Schönbohm wollte sich da auch auf Nachfrage gestern gar nicht erst festlegen: „In der neuen sozialistischen Einheitspartei sammeln sich auch die alten bundesdeutschen SED-Freunde, beispielsweise die Altlinken der DKP.“ Diese Personen müsse der Verfassungsschutz ohnehin im Blick haben. Und was die „Fremdarbeiter“-Zitate angehe, müsse man „abwarten, ob Lafontaine das wirklich so meint oder ob das nur sein übliches populistisches Geschwafel ist“.

Wo man sich auch umhörte, Verfassungsschützer von Bund und Ländern wollten über die Seriosität dieses Warnrufs aus Potsdam gestern öffentlich lieber kein Wort verlieren.

Das Linksbündnis nahm Schönbohms Steilvorlage indes gerne und prompt wahr. Die Äußerung des Ministers sei ein „ungeheuerlicher Vorgang“, so WASG-Vorstandsmitglied Klaus Ernst. Seine Gegenforderung: „Schönbohm soll zurücktreten.“

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