: Gedanken über „Macht“
Mit diesem Text verabschiedete sich Bettina Gaus am 20. März 2021 von der taz
Seit 30 Jahren arbeite ich für die taz, seit mehr als 10 Jahren schreibe ich die Kolumne unter der Überschrift „Macht“. Diese wird die letzte sein. Ende des Monats verlasse ich die Zeitung.
Mein vorherrschendes Gefühl ist Dankbarkeit. Drei Jahrzehnte lang habe ich tun können, was ich tun wollte, und ich durfte es stets zu den Bedingungen tun, die ich mir wünschte. Ein großes Glück. Ich würde gerne glauben, dass das nur etwas mit Freiheit zu tun hat und gar nichts mit Macht. Wäre gut fürs Selbstbild. Aber Freiheit ist nicht ohne Privilegien vorstellbar – wie beispielsweise soziale Sicherheit, ein weltweit anerkannter Pass oder eine gute Ausbildung –, und Privilegien sind stets ein Ausdruck von Macht.
Alle, die hierzulande mit unanfechtbarem Aufenthaltsstatus leben, sind privilegiert gegenüber einem großen Teil der übrigen Welt. Ziehen also Nutzen aus der Tatsache, dass sie zu der Bevölkerung eines reichen, mächtigen Landes gehören. Wir bei der taz ziehen Nutzen daraus, mehrheitlich besser ausgebildet zu sein als viele andere in unserer Gesellschaft. Macht, Freiheit und Privilegien sind ineinander verknäult. Immer.
Das Thema Macht hat mich spätestens seit den frühen 90er Jahren beschäftigt. Damals habe ich als Korrespondentin für Ost- und Zentralafrika über diejenigen berichtet, die gemeinhin als ohnmächtig gelten. Später dann vorwiegend über eine Mittelmacht geschrieben: Deutschland. In den letzten Jahren interessierte ich mich immer stärker für das, was sich in den USA abspielt. In einer Weltmacht also.
Was ich gelernt habe: Je weniger Macht jemand hat, desto mehr weiß sie oder er über die Mächtigen. Wer sich in Afrika für Politik interessiert, kennt die Verhältnisse in Europa und den USA viel besser als umgekehrt. Hierzulande sind wir übrigens auch genauer über die Vereinigten Staaten informiert als die Menschen dort über uns.
Egal? Was schert die jeweils Mächtigen, was sich im Maschinenraum abspielt? Derlei Überheblichkeit hat sich schon häufiger gerächt. In Afghanistan haben es die Sowjets erfahren, in Vietnam die USA. In Somalia glaubten internationale Experten, mit „barfüßigen Banditen“ leicht fertig werden zu können. Was sich als Irrtum erwies.
Gilt das, was sich in der Außenpolitik zeigt, auch für die Innenpolitik? Kann anhaltende Gleichgültigkeit gegenüber den Ohnmächtigen in der Gesellschaft zu einer Verschiebung von Machtverhältnissen führen, die so lange für undenkbar gehalten wird, bis sie sich ereignet? Ja. Dafür gibt es Beispiele. Nicht alle sind erfreulich.
Die Frage ist natürlich, wer eigentlich die Ohnmächtigen sind – und ob es immer diejenigen sind, die sich dafür halten. Die taz hat die Machtfrage gestellt, seit es sie gibt. Was versteht sie heute darunter? Bei der Themenwahl schlägt Gesellschaftspolitik meinem Eindruck nach derzeit Wirtschaftspolitik, auch Sozialpolitik. Nicht immer, aber doch sehr oft. Kontroversen über außenpolitische Fragen sind selten geworden. Das mag sich ändern, wenn der US-Präsident noch häufiger andere Staatschefs als Mörder bezeichnet. Bisher jedoch ist es der Fall.
Es gibt dafür gute Gründe. Allerdings gibt es dafür auch schlechte Gründe – dann nämlich, wenn Debatten sich verästeln und nur noch für Eingeweihte verständlich sind. Das beste Mittel, um derlei zu verhindern, ist eine Redaktion, in der Leute mit sehr unterschiedlichen Biografien und Meinungen arbeiten. Dann kracht es auch mal, natürlich. Aber das ist allemal besser als die Entwicklung hin zu einer Zeitung, in der alle immer derselben Ansicht sind.
Während ich das schreibe, merke ich, wie leid es mir tut, mich künftig nicht mehr in der taz einmischen zu können. Aber so ist das eben, wenn man sich verabschiedet. Mit der Frage, was Macht eigentlich ist, werde ich mich allerdings auch künftig beschäftigen. Demnächst auf spiegel.de.
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