„Wir hatten einen anderen Traum“

NAHOST-ROCKER In Israel ist Aviv Geffen ein Star, jetzt lebt er in London. Er hofft, dass Obama endlich Druck in der Siedlungsfrage ausübt

■ Enfant terrible der israelischen Popszene. Der androgyne Glamrocker stand mit Jitzhak Rabin auf der Bühne an jenem Abend 1995, als Israels Premier von einem Attentäter ermordet wurde; seitdem spricht sich der 36-jährige Musiker aus berühmter Familie erst recht für einen gerechten Frieden mit den Palästinensern aus.

■ Mit einem Album auf Englisch will Geffen nun in Europa bekannt werden. Das Album „Aviv Geffen“ enthält Titel wie „It’s cloudy now“, mit denen der Sänger in Israel zum Idol seiner Generation aufstieg, und neue Songs, die Produzentenlegende Trevor Horn (Art of Noise, Seal) in ein gefälliges Popkleid im 80er-Jahre-Retrostil hüllte.

VON DANIEL BAX

taz: Herr Geffen, in Israel sind Sie ein Star, jetzt erscheint Ihr erstes englischsprachiges Album. Wollen Sie eine neue Seite in Ihrem Leben aufschlagen?

Aviv Geffen: Oh ja, dieses Album ist so etwas wie mein Kapitel B, eine große Sache für mich.

Sie sind vor einigen Jahren nach London gezogen. Muss man das, wenn man eine internationale Karriere plant?

Wenn man im großen Spiel mitmischen will, ja. London ist einfach der Nabel der Popwelt. Aber ich pendele viel hin und her. Israel wird immer meine Heimat bleiben.

Eines Ihrer neuen Stücke ist „Berlin“ gewidmet. Was verbinden Sie mit dieser Stadt?

Berlin ist ein bisschen so, wie New York in den Siebzigern gewesen sein muss: Die Leute hier feiern das Leben und genießen es in all seinen Facetten, mit Mode, Musik, Kunst oder gutem Essen. Man merkt, dass es hier so etwas wie einen Urknall gegeben hat, als die Mauer fiel und Ost und West aufeinandertrafen. Ich finde Berlin viel cooler als London.

Auffällig viele Israelis zieht es in den letzten Jahren nach Berlin. Haben Sie eine Erklärung?

Für mich sind Berlin und Tel Aviv wie Schwesterstädte: beides einmalige Orte mit dem gleichen, schmuddeligen Sex-Appeal.

Wie war Ihre erste Begegnung mit Deutschland?

Ich muss zugeben, dass es für mich als Jude und Israeli anfangs schwer war, herzukommen. Aber ich habe meinen Frieden mit den Deutschen gemacht. Wir alle kennen die Geschichte, und sie wird für immer der schwärzeste Fleck auf der jüdischen Seele bleiben. Aber ich kann einen jungen Deutschen von heute nicht dafür verantwortlich machen, was seine Großeltern meinen Großeltern während des Holocaust angetan haben. Wir müssen nach vorne schauen.

Wann sind Sie das erste Mal nach Berlin gekommen?

Das war 1998, also vor über zehn Jahren. Ich hatte Angst und fühlte mich unwohl, hier zu landen. Und meinen Vater zum Beispiel habe ich erst vor einem Monat dazu bringen können, das erste Mal nach Deutschland zu kommen, nach München. Es fiel ihm schwer. Man hat all diese Bilder im Kopf, aus Filmen oder aus Jad Vaschem. Aber das Leben geht nun mal weiter.

Viele Deutsche meinen, sie hätten ihre Geschichte wirklich gründlich aufgearbeitet und daraus etwas gelernt. Was glauben Sie?

Ich glaube, sie haben recht. Ja, die Deutschen haben aus ihrer Geschichte gelernt. Das Deutschland von heute ist fantastisch.

Ihr eigenes Land sehen Sie kritischer: In Israel gelten Sie als notorischer Nestbeschmutzer.

Ich verabscheue es, wie unsere Regierung Politik und Religion vermischt. Das kann und will ich nicht akzeptieren, denn deswegen stecken wir so fest. Ich tue, was ich kann, um mit meinen Songs etwas daran zu ändern. Aber, ehrlich gesagt, ich kann und will auch nicht der Außenminister Israels sein.

Sie werden oft nach Ihrer politischen Meinung gefragt …

Ja natürlich. Ich stehe ja auch für einen wichtigen Teil der israelischen Gesellschaft: Ich bin ein Symbol für den Krieg gegen den Krieg. Aber auf der anderen Seite habe ich auch viele Fans in Deutschland oder Frankreich, die sich einen Scheiß für den Nahostkonflikt interessieren. Sie wollen rocken.

In Israel wird jeder Schritt von Ihnen aufmerksam verfolgt. Und wenn Sie im Ausland einen unbedachten Satz von sich geben, ist das prompt in den Nachrichten, nicht wahr?

Ja, das stimmt. Kürzlich habe ich bei einer Pressekonferenz gesagt, dass mich manche Fanatiker in Israel gern tot sehen würden, und dabei von 50 Prozent gesprochen. Das war ein Fehler, der für viel Wirbel gesorgt hat. Was ich sagen wollte, ist: Wir haben eine Minderheit von ungefähr einem Drittel Verrückten, die leider dem Rest der Gesellschaft ihren Willen aufzwingt.

Ist Israel noch das Land, in dem Sie aufgewachsen sind?

Nein, es hat sich sehr verändert. Seit Rabin ermordet wurde, ist etwas Schlimmes mit Israel passiert. Dieser Typ, Jigal Amir, hat nicht nur Rabin umgebracht, er hat einen ganzen Traum zerstört. In diesem Moment hat sich die ganze Geschichte gedreht.

Hat Jigal Amir, der das Attentat auf Rabin verübte, am Ende gewonnen?

In gewisser Weise, ja. Er hat Israel extremistischer gemacht. Und Jigal Amir hat noch immer seine Unterstützer in Israel.

Sie wurden einst zu einem Idol der israelischen Jugend, weil Sie Ihren Militärdienst verweigerten. Ist diese Haltung in Israel heute noch populär?

Hängt davon ab, wen man fragt. Klar, Israel braucht eine Armee, unglücklicherweise. Aber es gibt viele Menschen wie mich, die gegen die Besetzung und die Unterdrückung der Palästinenser sind. Man muss sein Land verteidigen, okay. Aber wozu brauchen wir dieses Land und diese Gebiete? Ich habe keine Freunde, die nach Ostjerusalem fahren oder in den Siedlungen leben.

Nach dem Gazakrieg war nur wenig Kritik an der israelischen Armee zu hören, oder?

Ich habe schon kritische Stimmen gehört. Aber nicht in Israel, das stimmt. Denn es ist schwer, dir Gehör zu verschaffen, wenn Raketen über deinen Kopf hinwegfliegen. Mit ihren Raketen hat die Hamas den Radikalen bei uns in die Hände gespielt.

Hat der Bau der Mauer die Entfremdung zwischen Palästinensern und Israelis verstärkt? Viele junge Israelis wissen ja gar nicht mehr, wie es in Gaza oder Ramallah aussieht.

Ich würde eher sagen, sie wollen es nicht wissen. Man kann sich ja informieren. Aber die Leute bevorzugen es, nicht hinzusehen. Ich gehöre zu denen, die hinschauen. Meine Schwester etwa engagiert sich für eine Organisation, die die Checkpoints überwacht, die von den Arabern passiert werden müssen, und protokolliert die Schikanen dort.

Die israelische Sängerin Noa ist beim letzten „Eurovision Song Contest“ mit einer palästinensischen Kollegin aufgetreten. Was halten Sie von solchen symbolischen Aktionen?

Ehrlich gesagt, ich kann dieses ganze Salam-Schalom-Zeug nicht mehr hören. Wenn du mutig bist, dann sing nicht bloß über Frieden, schreib einen Song über die Besetzung! Alles andere ist unverbindlicher Kitsch.

Der aber gerne gehört wird …

Ja, aber wenn du zu sehr darauf achtest, ja niemandem auf die Füße zu treten, um möglichst viele Platten zu verkaufen, dann stirbt die Kunst. Ironischerweise haben sich meine Verkaufszahlen sogar verdoppelt, als ich damit begann, offen meine wirkliche Meinung zu vertreten. Die Haltung der Öffentlichkeit war: Okay, er sagt seine Meinung, die kann man mögen oder nicht. Aber das ist zumindest ein künstlerischer Ansatz.

Sie selbst haben einmal mit den palästinensischen Rappern von der Gruppe DAM zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?

Diese Jungs kamen zu mir mit einem richtig starken Song und fragten, ob ich ihnen helfen kann. Ich wollte mich dafür einsetzen, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Denn Frieden bedeutet für mich nicht nur, ein paar Papiere zu unterschreiben. Es geht darum, den anderen wirklich zu verstehen und zu respektieren. Am Ende des Tages sind wir schließlich Brüder.

Wie war die Reaktion?

Als ich 1998 das erste Mal nach Deutschland kam, hatte ich Angst und fühlte mich unwohl, hier zu landen

Der Song hat es nicht ins Radio geschafft. Wegen des Texts. Denn Israel mag zwar eine Demokratie sein, aber in unseren Medien gibt es keinen Platz für die arabische Bevölkerung, ihre Meinungen und Sichtweisen darzulegen.

Kritische Künstler wie Sie stellen in Ihrem Land eine Minderheit, finden im Ausland aber viel Beachtung. Filme wie „Waltz with Bashir“ sind im Ausland sehr erfolgreich. Woran, meinen Sie, liegt das?

Ich denke, solche Künstler können das Ausland dazu bringen, genauer hinzuschauen. Denn wenn man nur Fox News und CNN schaut, kann man sich kein gutes Bild über den Nahen Osten machen. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum sich immer mehr israelische Künstler vermehrt an ein ausländisches Publikum wenden. Denn wir hatten einen anderen Traum.

Manche Israelis bezweifeln, dass Europäer den Nahen Osten angemessen beurteilen können – deshalb sollten sie sich auch nicht in die israelische Politik einmischen, so ihr Argument.

Ja, aber diese Leute haben ein Problem. Wie sollen sie Außenstehenden diese Siedlungen erklären? Schau, wir besetzen diese Gebiete und besiedeln sie, weil in irgendwelchen heiligen Büchern geschrieben steht, dass dieses Land den Juden gehört? Ich habe einmal diese Siedlungen besucht. Das sind alles Verrückte, ein Haufen Verbrecher.

Wie meinen Sie das?

Ich habe da zum Beispiel diesen Typen getroffen, der ein fantastisches Aufnahmestudio hatte. Ich sagte zu ihm: Toll. Aber warum hier? Auf besetztem Land? Seine Antwort war: Weil das Land so billig ist. Ich habe das Studio sehr günstig gekauft. Sehen Sie, es geht nicht um Gott. Es geht ums Geld. Sie haben Gott in Dollars verwandelt und eine gute Ausrede für die Besetzung gefunden: Es ist mein Glaube! Unsinn. Es ist, weil das Land für sie so billig ist. Das macht die Sache so eklig.

Warum ist es für Israel so schwierig, die jüdischen Siedlungen im Westjordanland infrage zu stellen?

Dazu brauchte es eine mutige Führung die sagt: Lasst uns alle Siedlungen abziehen. Lasst uns Ostjerusalem den Palästinensern geben. Aber niemand hat diesen Mut.

Israel ist eine Demokratie. Per Befehl geht das natürlich nicht.

Das stimmt. Deshalb setze ich auf Obama, uns dabei zu helfen.

Hat er eine Chance – mit dieser israelischen Regierung?

Israel ist dringend auf das Geld aus den USA angewiesen. Obama sollte wirklich Druck machen, denn er hat die Macht dazu. Wir brauchen seine Hilfe.