kritisch gesehen: Bloß nicht vom Titel irritieren lassen
Stumpfe Boulevard-Kost? Klingt so, aber der Witzig-Witzig-Titel täuscht: Mit „Das tollste Stück in der Geschichte der Welt“ hat der Dramatiker Ian Kershaw ein anrührendes Traumspiel verfasst, dessen übermäßig strikte Regieanweisungen Markus Seuß bei der deutschen Erstaufführung in Bremen allerdings allzu kreuzbrav befolgt. Obwohl schon drei Jahre alt, wirkt dieses Stück – von Evelyn und Rainer Iwersen smart übersetzt – wie geschrieben fürs allmähliche Neu-Erwachen des gesellschaftlichen Lebens in der Pandemie. Sein Thema ist ein wie wund so behutsames Erlernen menschlicher Kontakte, die einst für ganz normal gehalten wurden.
Am Freitag feierte das 80-minütige Solo Premiere bei der Bremer Shakespeare Company. Außer einem riesigen, wie eine Konkavlinse geformten Metallregal mit farbigen Schuhkartons hat Rike Schimitschek die Bühne des Theaters am Leibnizplatz leer belassen. Petra Janina Schultz füllt diese Spielfläche mit umso mehr Verve: Sie ist die Erzählerin einer grotesken Geschichte und performt zugleich, in mimischen Skizzen, mitunter nur durch eine Geste, die Gesamtheit ihrer Personen.
Das sind die realistischen Bewohner*innen einer realen Straße. Sie sind in eine surreale Handlung eingebunden, die beginnt, als einer von ihnen, Tom, früh morgens bemerkt: Die Zeit ist zur palindromischen Uhrzeit 04:40 erstarrt. Nichts rührt sich. Sogar die Tauben auf dem Dach, die Fliegen an der Wand, still. Nur zwei Personen spart der Bann aus: Ihn selbst, und, wie er feststellen wird, Sara, die vis-à-vis lebt, und ähnlich neurotisch ist wie er.
Ab und an wird die Bühne zur Galaxie, aus Licht gemalt, und vom Tonband spricht eine Stimme Erinnerungen an die Voyager-Raumsonden, die seit 1977 im All nach Kontakt suchen. Dazwischen entfaltet sich mäandernd die Story, wie Tom und Sara zueinander finden: Schultz folgt ihrer Drift, mal mit Temperament, durchlebt ihren warmherzigen Humor – und bringt ihre sarkastischen Akzente bissig auf den Punkt. Autsch, das kann fast schon wehtun. Aber keine Sorge: Jedes Märchen endet gut. Benno Schirrmeister
Weitere Vorstellungen: 2., 22. + 26. 12., jeweils 19.30 Uhr. Bremer Shakespeare Company, Theater am Leibnizplatz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen