Vom Angsthäschen zum Kurvenstar

Auch das Motorradfahren kennt eine spezifisch weibliche Problematik. Frauen sind oft ängstlicher. Eine Spezial-Fahrschule zeigt, wie’s besser geht

„Macht euch locker, lasst euch treiben. Singt ein Lied, wenn ihr gefrustet seid. Das hilft, ehrlich.“ Andrea Stihl ist bestens gelaunt. Die Frauen, vor denen sie spricht, wirken in ihren schweren Ledermonturen niedergeschlagen. Nach Singen sehen die jetzt nicht aus. „Orange“, ihre Gruppe, ist eben von den ersten Runden auf der Templiner Gokartbahn zurückgekehrt. Dort flitzen jetzt keine kleinen Wagen, sondern die schweren Motorräder der Gruppe „Grün“. Die Frauen wollen hier, nördlich von Berlin, lernen, wie man mit dem schweren Gerät am besten um enge Kurven fährt und bremst. Das Besondere: Männer sind unerwünscht.

Brigitte Moenck ist eine von einem Dutzend Teilnehmerinnen, die mit ihren Motorrädern am heutigen Training teilnehmen. Neben der Bahn, bei Wasser und im Schatten von Sonnenschirmen lauschen Brigitte Moenck und die anderen aus der Anfängergruppe den Tipps von Andrea Stihl. Die 37-jährige Instruktorin und Berlin-Chefin der Hamburger Motorradtrainingschule „sister-act“ malt mit einem Edding die Spur der Idealkurven auf eine Karte. Sie spricht von Blick- und Linienführung, Schräglage, Schwungbewegung auf dem Motorrad. Dass man besser nicht durch Kurven schleicht, weil das gefährlich ist, und Kurven besser mit Schwung wieder verlässt.

„Das wird schwierig“, murmelt Brigitte Moenck. Bislang hat die 50-jährige Berlinerin ihre 500er Kawasaki um jede Straßenbiegung getragen. Vor zwei Jahren erfüllte sie sich einen Jugendtraum und kaufte sich das Motorrad. Den Führerschein hatte sie schon seit 32 Jahren – aber null Fahrpraxis. Ihre Ausfahrten waren dann auch „purer Stress“. Dann, sagt Brigitte Moenck, gerate sie auf der Straße mal wieder von einer „blöden Situation“ in die nächste – und werde aus lauter Angst immer langsamer. Statt hilfreicher Ratschläge kämen von Männern dann regelmäßig blöde Sprüche.

So ergeht es vielen der „sister-act“-Kundinnen. Häufig haben sie erst mit Mitte 30 oder später ihre Lust aufs Zweirad entdeckt. Oft können sie dann in den Motorradcliquen nicht mithalten. Denn die Biker-Männer haben schon 20 Jahre „auf dem Bock“ gesessen. Solche Erfahrungen lassen sich natürlich nicht innerhalb eines Jahres aufholen, das weiß jede späte Motorradfahrerin. Und viele wollen nicht so schnell zurückstecken.

Andrea Stihl kennt das spezifisch weibliche Problem. „Die Frauen fühlen sich schwach und als Bremse, haben Angst, hetzen hinterher oder fahren irgendwann gar nicht mehr mit, weil sie sich zu sehr unter Druck setzen.“ Das sei vor allem eine Kopfsache. „Wir nehmen den Frauen die Angst und geben ihnen Selbstvertrauen“, meint Stihl. Schließlich zähle beim Motorradfahren nicht Geschwindigkeit, sondern Technik.

Und die lernen Frauen bei richtiger Anleitung genauso wie die Kerle. Die Erfahrung kommt mit den Jahren. Das kennen Autofahrer vom Rückwärts-Einparken. In der Pause erzählen sich die Frauen ihre Pleiten und Pannen und sind beruhigt, wenn sie hören, dass anderen auch schon mal das Motorrad in der Garage umgekippt ist. Auf den Wohlfühlfaktor innerhalb der Runde legen die „sister-act“-Initiatorinnen großen Wert. Testosteron-gesteuerte Platzhirsche sind jedenfalls unerwünscht.

Auch auf dem Firmengelände in Hamburg vermitteln die „sister-act“-Gründerinnen und Zwillingsschwestern Gesine Rainer und Antje Kramer Techniken, die speziell auf Frauen zugeschnitten sind. Etwa, wie sie eine am Boden liegende Maschine mit Hebelwirkung statt Muskelkraft aufrichten können. Oder wie sie beim Handling ihre Motorräder leichter schieben und rangieren können. Sie lernen enge Slaloms manövrieren, freies Absteigen, Aufbocken und bekommen schließlich ein Gefühl fürs Zweirad. Sicherheit geben auch Brems- und Sturztrainings.

Trainerin Andrea Stihl hat vor zwei Jahren selbst ein Kurventraining bei „sister-act“ in Hamburg besucht. Sie war danach so begeistert, dass sie im Gästebuch vorschlug, „eine Zweigstelle in Berlin zu eröffnen“. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los, zumal die Biologin in der Marketing-Abteilung einer Biotechnologie-Firma unglücklich war und nach Jobalternativen suchte. Die leidenschaftliche Bikerin sprach die Hamburgerinnen Ende 2003 an. Die schlugen sofort ein, weil sie die Marke „sister-act“ bekannter machen wollen.

Auf der Gokartbahn stehen am Nachmittag verschwitzte Fahrerinnen, ermattet von zahllosen Kurven, aber befeuert von neuem Können.

THOMAS JOERDENS

Das nächste Training in Templin findet am Freitag, dem 8. Juli, statt. Anmeldungen unter www.sister-act.com