dvdesk: Der Horror, der aus dem Missbrauch kommt
An der Wand ein Poster, das vor sexuellem Missbrauch warnt und mahnt „Don’t be silenced!“ Vor diesem Poster kommt die junge Krankenschwester Val (Rose Williams) in einer Einstellung früh im Film so zu stehen, dass ihr Gesicht mit dem Gesicht auf dem Poster verschmilzt. Subtil ist das nicht, aber das Thema von Corinna Faiths Spielfilmdebüt „The Power“ ist damit klar kommuniziert: Es geht um Missbrauch, um die Zerstörung, die das Schweigen darüber anrichten muss, um den Horror der Traumatisierung.
Horror ist dabei unerwartet wörtlich, nämlich als Genre-Anweisung zu verstehen. Der Missbrauch und seine Folgen werden hier nicht im Register des psychologischen Realismus, sondern sozusagen in Übersetzung erzählt. Und zwar nach allen Regeln der Horrorfilmkunst.
Der Schauplatz ist ein Krankenhaus in London, alt und derart labyrinthisch verschachtelt, mit endlosen Fluren und Gängen, dass die einzelnen Stockwerke zur Orientierung farblich kodiert sind.
Furchteinflößend ist das im Hellen, gruselig ist es im Dunklen. Und dunkel wird es, sehr dunkel, dafür sorgt der historische Hintergrund, vor dem Corinna Faith clever und beziehungsreich ihre Geschichte platziert. Es ist nämlich das Jahr 1974, die britische Regierung unter dem Konservativen Edward Heath liegt im heftigen Clinch mit der Bergarbeitergewerkschaft und dreht dem Land über Nacht als dramatische Geste den Strom ab. Zwar gibt es im Krankenhaus Notaggregate, schon gar in der Intensivstation, in die Val gleich in ihrer ersten Nachtschicht gesteckt wird.
Und zwar zur Strafe. Im ersten Gespräch war sie von der (schwarzen) Oberschwester noch eingenordet worden: Gehorsam und Disziplin sind erste Schwesternpflicht, keine Wiederworte nach oben, schon gar nicht das Gespräch mit den Ärzten. Einer der Halbgötter in Weiß allerdings, Doktor Franklyn (Charlie Carrick), hat es Rose so angetan, dass sie doch das Wort an ihn richtet. Er zeigt sich offen, die Strafe jedoch folgt auf dem Fuß: Nachtschicht. Der Strom wird abgedreht, die bei Tageslicht schon leicht milchigen Bilder werden nun ockrig-dunkel getönt. Und immer wieder ist da nur Schwärze.
Im halb und ganz Dunkeln beginnen die Geister zu munkeln. Eine finstre Figur ist der Schließer Neville, der auch für einen immer wieder bedrohlich ins Bild gesetzten Feuerofen im Keller zuständig ist. Vor allem aber taucht aus der Nacht eine Figur auf, ein Mädchen, das den Aufruf des Posters verkörpert. Gail wurde missbraucht und getötet, zum Schweigen gebracht. Ganz genau wird die Vorgeschichte nicht geklärt, aber eines ist klar: Gail fährt in den Körper von Val, die nun als Besessene außer sich ist.
Und doch auch durch die Besessenheit zu sich kommt, denn in Rückblenden ist zu sehen, dass sie in der Schule selbst missbraucht worden ist. Corinna Faith setzt dabei lange auf schleichendes Grauen, auf drohende Atmosphäre, spart dann aber keineswegs am schrillen Schrecken, den jump scares, die das konventionelle Instrumentarium des Horrorfilms sind. Nicht nur Val, auch die Zuschauerin wird nach den Regeln des Genres durch die Mangel gedreht.
Auf den ersten Blick hat die Verschaltung von Missbrauchsthema und Horrorgenre eine geradezu bezwingende Logik. Der Schrecken des Horrorfilms ist ja stets als Symptom und Ausdruck von Verletzung und Trauma zu lesen. Und doch bekommt „The Power“ ein Problem, und zwar umso mehr, je virtuoser sich Faith der Mittel des Genres bedient. Gerade weil das eine im anderen so umstandslos aufgeht, weil die Übersetzung des einen in den anderen Schrecken so gekonnt ist, droht der wahre Horror paradoxerweise in der Konvention eingehegt und befriedet zu werden.
Ekkehard Knörer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen