wortwechsel
: Recht auf Freiheit, sich nicht impfen zu lassen?

Der Bundestag berät über die Impfpflicht für Personal in Kliniken und Pflegeheimen. Die taz-Leser*innen machen sich vor allem Sorgen über die Spaltung der Gesellschaft

Demonstration in Hamburg gegen die Coronapolitik Foto: J. Große/AdoraPress

„Impfpflicht zur Beruhigung“ und andere Artikel zum Thema „Impfen“

taz vom 2. 12. 21

Recht auf Freiheit?

In den vergangenen zwei Jahren der Pandemie kamen neben einschlägig bekannten Politiker/innen auch viele Wissenschaftler/innen zu Wort. Darunter Virolog/innen, Mediziner/innen und Aerosolforscher/innen. Auffallendes Schweigen ist bei den Philosoph/innen festzustellen. In den Medien wurde der Eindruck ver­mittelt, dass die Pandemie in erster Linie ein naturwissenschaftliches Problem sei. Dass sie auch ein ethisches Problem ist, wurde nur am Rande erwähnt. Dabei bietet die Pandemie eine Möglichkeit, auch ethische Gesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen und auch kontroverse Ansätze zu diskutieren. Es wäre ein wichtiger Beitrag zum Verständnis politischen Bemühens und zur Entscheidungsfin­dung individuellen Handels, insbesondere bei der Frage, ob man sich impfen lassen soll.

Aktuell ist die Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte gespalten. Die Geimpften werden als die Vernünftigen und die Ungeimpften als die Unvernünftigen dargestellt. Diese Kategorisierung ist zu apodiktisch und trägt nichts zu einer Verhaltensänderung bei. Auch Geimpfte können ihre Entscheidung, sich impfen zu lassen, in einer irrationalen Angst vor den Folgen einer Covid-Erkrankung gründen. Sowie die Ungeimpf­ten ihre Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, in einer irrationalen Angst vor den Folgen mög­licher Impfneben­wirkungen begründen. Wie sind diese Entscheidungen ethisch zu bewerten? Beide Gruppen orientieren sich an den eigenen Bedürfnissen. Die Entscheidung gründet nicht in der Freiheit (diesem oft missbrauchten Begriff in der Pandemie), son­dern in der Furcht vor möglichen negativen Folgen für einen selbst. Die Mehrzahl der Menschen, die sich impfen lässt, ist aber mit großer Sicherheit an höheren Werten orientiert und handelt ethisch im eigentlichen Sinne: Sie verlassen den egoistischen Standpunkt und nehmen die Perspektive des Anderen ein. Sich impfen zu lassen hat auch etwas mit Empathie zu tun. Wer sich nicht impfen lässt, kann dies mit ­seinem Recht auf Freiheit und körperliche Unversehrt­heit begründen. Mit der metaphysischen Freiheit hat sie aber wenig zu tun. Es ist mehr eine naive Idee von der Handlungsfreiheit, tun und lassen zu ­können, was man will.

Ernst Minninger, Limbach

Eingriff in das Grundrecht

RESPEKT war das Schlüsselwort, mit dem Olaf Scholz die Wahl gewonnen hat. Und jetzt: Als erste Amtshandlung will er die allgemeine Impfpflicht einführen. Dieser extreme Eingriff in das Grundrecht „auf körperliche Selbstbestimmung“ erfolgt gegen den ausdrücklichen Willen einer großen Bevölkerungsgruppe, darunter auch nicht wenige der täglich hoch gelobten Pflegekräfte, deren Personalnotstand nicht abgeholfen wird.

Das ist das Gegenteil von Respekt, es sind erschlichene Wählerstimmen! Und jetzt auch noch Karl Lauterbach als Gesundheitsminister, der ausgewiesene Befürworter von massiven Krankenhausschließungen und Freund von Privatisierungen. Der wirre Panik-Bock zum Gärtner. Er sät Enttäuschung und Wut. Zwang, Strafe und Gehorsam sind keine Merkmale einer gelungenen Regierung, sondern degradieren Menschen zu Untertanen. Mir hat noch nie so vor einer Regierung und der Zukunft gegraut.

Brigitte Stephan, Kiel

Mehr Toleranz miteinander

Wir reden hier von nicht vollständig zugelassenen Medikamenten. Eine mit Impfstoffen behandelte Person würde nicht mehr anstecken und nicht mehr erkranken. Beides ist mit den begrenzt zugelassenen Medikamenten nicht zu erreichen. Es gibt Bürger, die Angst haben, an Corona zu sterben, und es gibt Bürger, die vor diesem Medikament Angst haben. Wir sollten rücksichtsvoll miteinder umgehen. Ich bin ein vollständig geimpfter Bürger. Mein gelbes Heft ist voll ­bestätigter Impfungen. Diesem Piks gegen Corona vertraue ich nicht und bin froh, dass ich „Genesen“ bin. Ich bitte um mehr Toleranz miteinander.

Marion Sasse, Berlin

Normal wie vor Corona?

Ich bin froh, dass es so schnell nach Auftreten von Sars-CoV2 eine Impfung gibt, die Risikogruppen vor schweren Verläufen ­einer potenziell tödlichen Krankheit schützt.

Ich bin kein Impfgegner und doch sehe ich mich genötigt, genau diese Einlassungen an den Anfang meines Leserbriefes zu stellen. Ich tue dies, um überhaupt Gehör zu finden in einem gesellschaftlichen ­Diskurs, der immer weniger Verständigung erzielt. Ich nehme wahr, dass häufig Klischees bedient werden – vom Klischee des „verantwortungsvollen Geimpften“, der danach wieder so leben darf, wie es vor der Pandemie war – bis hin zum „unsolidarischen Ungeimpften“, der ein Risiko für seine Mitmenschen darstellt. Bei diesen „Ungeimpften“ sind auch Menschen dabei, die Corona durchgemacht haben und davon genesen sind – das sind in Deutschland ca. 4 Mio. Menschen. Diese Menschen sind aber nur 6 Monate lang den Geimpften gleichgestellt, obwohl es unterdessen Studien gibt, die belegen, dass die Immunität dieser Menschen deutlich stabiler ist als die nach einer Impfung erworbene. Wo bleibt die Auseinandersetzung damit?

Mich enttäuscht, dass ihr es in Eurer Berichterstattung an einer ganzheitlichen Sicht fehlen lasst. Damit meine ich das fehlende aktive Hinterfragen, ob das Ver­sprechen/die Aussicht, mit Impfung wieder zu einer „Normalität wie vor Corona“ zurückkehren zu können, das richtige Motiv für eine Impfung ist. Es zeigt sich doch unterdessen, dass selbst die Impfung kein zuverlässiger Schutz vor Übertragung ist. Ein für Risikogruppen solidarisches Verhalten hieße in diesem Zusammenhang doch eher: Kontaktreduzierung für alle bzw. dort, wo Zusammentreffen sein soll/sein muss: konsequentes Testen für geimpfte und genesene Menschen. Ist die Lehre aus Corona so einfach: auf den letzten Pikser impfen & alles ist wieder gut? Stefan Sander