Osman Engin
Die Coronachroniken
: Die Corona­Kurzsichtigkeit

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Völlig gebannt hören wir im Fernsehen die neuesten Coronasymptome an. Plötzlich entdeckt meine Frau Eminanim ein höchst eigenartiges Coronasymptom. Und zwar bei sich. „Osman, ich bin blind geworden“, zittert ihre Stimme ängstlich. „Ich habe Corona!“

„Eminanim, dieses Symptom wurde von keinem der Corona-Experten jemals erwähnt. Hast du Halsschmerzen, hast du Fieber – nein! Du hustest ja nicht mal – du hast kein Corona!“

„Ich kann nicht mehr sehen“, zischt sie und bewegt sich mit ausgestreckten Armen ängstlich nach vorne, um in unserem Wohnzimmer aus Versehen nicht auf eine Landmine zu treten, die seit dem Zweiten Weltkrieg nicht entschärft worden ist. „Das ist ganz normal, dass man sich vorsichtig nach vorn tasten muss, wenn man plötzlich das Augenlicht verliert“, kommentiert sie ihr seltsames Benehmen.

„Hast du vielleicht deine Kontaktlinsen vergessen? Die sind so winzig, ich weiß nie, wann du sie drin hast und wann nicht.“

„Kontaktlinsen? Bist du nun völlig verrückt geworden? Man darf sich in dieser schrecklichen Zeit nicht mal das Gesicht anfassen, damit man sich nicht mit diesem tödlichen Virus infiziert, und du willst, dass ich meine verseuchten Finger in meine Augen reinstecke!“

„Aha, jetzt kommen wir der Sache schon etwas näher. Du hast kein Corona, du bist kurzsichtig!“

Es bleibt meiner Frau natürlich nichts anderes übrig, als sich die ganze Zeit vor den Fernseher zu hocken, um ihre Augen nicht zu infizieren.

So sitzt sie nun seit 14 Tagen ununterbrochen dort – im Gegensatz zu mir, weil ich ja die ganze Hausarbeit erledigen muss. Aber Hausarbeit macht erfinderisch – ich komme auf eine tolle Idee!

„Eminanim, du musst die Linsen ja gar nicht mit deinen verseuchten Fingern in deine Augen reinführen. Schau doch, was ich für dich habe“, rufe ich begeistert und überreiche ihr eine Saugpumpe, wie ich sie auch immer benutze, um das verstopfte Klo freizubekommen. Nur viel, viel kleiner.

„Spinnst du? Diese Mini-Klo-Pumpe ist sicherlich erst recht verseucht! Nie im Leben fasse ich das Ding an!“

Dann setzt sie sich wieder vorsichtig herumtastend vor den Fernseher und öffnet genüsslich eine Chipstüte.

Das Problem löst sich nach drei Wochen endlich von selbst. Ich erwische Eminanim im Badezimmer, wie sie zuerst ihre rechten Zeigefinger im Desinfektionsmittel badet, danach eine Kontaktlinse auf die Fingerspitze legt und sie dann kalt lächelnd auf ihre Pupille klatscht.

„Das machst du sehr professionell“, grinse ich ironisch.

„Denkst du, ich weiß, was ich tue?“, stammelt sie auf frischer Tat ertappt.