wortwechsel
: Wie viel Zeit bleibt uns – und für welches Leben?

Der Klimawandel bringt uns um? Sind wir wirklich bereit, unser Leben radikal zu ändern? Würde das überhaupt reichen? Für wen – bis wann? Was muss die Politik schaffen – jetzt?

Protest vor der SPD-Zentrale in Berlin am 22. 10. 21. Dieser SPD-Besuch fand statt im Rahmen des Fridays-for-Future-Klimastreiks #IhrLasstUnsKeineWahl Foto: F. Andorra/AdoraPress

„Der Geist der Ampel ist ein offener“,

taz vom 23./24. 10.2021

Reine Symbolpolitik?

Viele Menschen, mit denen ich rede, sagen, dass ihnen die Berichterstattung zu Klima- und Umweltfragen Angst macht und sich das sehr dramatisch anhört. Meine Antwort ist immer dieselbe: „Es wird auch dramatisch, wenn wir jetzt nichts tun! Es ist leider nicht übertrieben, sondern wissenschaftlich abgesichert.“ Leider scheint ebendieses Wissen nicht bei den politischen Eliten angekommen zu sein. Hier versteift man sich weiter auf Symbolpolitik! 2060 wird es jedenfalls zu spät sein, einen Wandel herbeizuführen und eine lebenswerte Welt für unsere Kinder und Enkel zu sichern. Sabrina Neugebauer, Hamburg

Sie nennen es „Wald“ …

Sie nennen es Wald … wo es doch fast nichts ist als eine industrielle Holzanbaufläche. Die Holz­acke­r­in­ge­nieu­r*in­nen bezeichnet Herr Schellnhuber als Romantiker*innen, weil sie die Bäume umzäunen wollten, um darin einen Wald natürlich wachsen zu lassen. Um diesen teuren Spaß kommen sie jedoch nicht herum. Denn der Gesetzgeber verhätschelt eine Kaste, die sich in ihren Revieren Freilandhaustierchen hält. „Wild“. Lässig bejagt, naschen Reh und Hirsch die mühsam gepflanzten, leckeren Plantagenbäumchen weg wie die Schnecken dem Kleingärtner den Salat. Um ein bisschen mehr natürlichen Waldwuchs in der Kulturlandschaft betteln Na­tur­schüt­ze­r*in­nen und „alternative“ Förster*innen. Denn es gibt hier eigentlich nur Forst. Wenn Förs­te­r*in­nen romantisch sind, dann darin, ihn als Wald zu bezeichnen und zu behaupten, seine für die Menschheit überlebenswichtigen ökologischen Wirkungen schütze man am besten mit „der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft“. Flächendeckend zerfurchen Fahrspuren von Schwermaschinen in 4 Meter Breite die Waldböden. Das macht bei Abständen von 20 Metern 17 Prozent Verlust der Produktionsfläche. Die dadurch erzeugte Auflichtung erhöht die Verdunstung. Um die ökologische Gesamtbilanz einer Forstwirtschaft offenzulegen, die für die angestrebte umfassende Ausweitung des Holzbaus erforderlich wäre, könnte man die Rechnerkapazitäten des Klimaforschungsinstituts gut gebrauchen. Auf nachhaltig offenen Geist, auch dafür möchte ich hoffen.

Helmut Breunig, Diplom-Forstwirt, Osterode am Harz

… oder „Holzlieferant“

Wenn Herr Schellnhuber sich dafür ausspricht, dem Bau- und Forstsektor ein gemeinsames Klimaziel zu geben, hoffe ich, dass er die Gefahr der auch in Deutschland bereits vorhandenen Übernutzung der Wälder stets mit betrachtet. Eine reduktionistische Karbonisierung der Waldnutzung und Waldpolitik hilft nicht weiter. Es ist ein Fehler, den Wald als reinen Holzlieferant für die Substitution CO2-intensiver Baustoffe zu betrachten, ohne die derzeitige Praxis und Übernutzung der Wälder durch die Forst- und Holzwirtschaft grundsätzlich zu ändern. Die Wälder in Deutschland sind durchschnittlich sehr jung und unreif und können noch viele Jahrzehnte Biomasse und damit Kohlenstoff aufnehmen. Gleichbleibender oder gar erhöhter Nutzungsdruck macht den Wald weniger widerstandsfähig gegenüber dem Klimawandel und führt zum Verlust weiterer hydrologischer Funktionen und der Artenvielfalt, die negative Rückkopplungseffekte zur Fähigkeit der Wälder als Kohlenstoffspeicher mit sich bringen. Bernd H. Inselmann, Brandenburg an der Havel

Absolutheitsanspruch

Ich bin zweifelsohne dafür, dass jeder von uns den eigenen Lebensstil auf Nachhaltigkeit überprüft. Wir können viele Ressourcen einsparen, doch sollten wir uns von der ideologischen Verkrampfung lösen, Deutschland könne mit einer neuen Bundesregierung und deren Maßnahmen für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sorgen. Vergessen wird allzu oft, dass evolutionsbedingte Schwankungen schon seit jeher existieren. Der Absolutheitsanspruch der Umweltbewegung ist durch nichts gerechtfertigt. Als vergleichsweise junger Mitbürger ist auch mir die Zukunft unseres Planeten nicht egal. Aber ich habe ein Problem damit, wenn eine nahezu schon religiös anmutende Weltanschauung einer ganzen Generation Naivität befördert und Verblendung verursacht. Ich sorge mich, wenn mit Angst Politik gemacht wird. Schlussendlich wäre es rationaler, auf manch gottgegebene Wirklichkeit mit Anpassung zu reagieren, statt unendlich viel Kraft, Zeit und Geld in einen Kampf zu investieren, den wir überhaupt nicht gewinnen können.

Dennis Riehle, Konstanz

Die Naivität der Grünen

Den Grünen denkt man offensichtlich in den Verhandlungen die Rolle der KlimaschützerInnen zu – und zwar nur ihnen. Und die Grünen tappen in großer Naivität in diese Falle und übernehmen es dann, unpopuläre Maßnahmen einzuleiten oder aber an den großen Zielen zu scheitern, da schlicht keine ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt werden. Retten kann die Grünen nur noch die eigene Basis, insbesondere die grüne Jugend.

Johannes Löhr, Oer-Erkenschwick

Die Ablenkungsstrategie

Die Lebensweise der meisten Menschen ist so eingebettet und abhängig von Politik, Arbeitswelt und Konsumkultur, dass ihre klimawirksamen Verhaltensänderungen nur marginale Effekte erzielen können. Die Verantwortung und die Mittel, um die menschengemachte katastrophale Richtung zu ändern, müssen auf die zentralen Verantwortlichen gerichtet werden, auf das Verhalten der großen Industrien im Ressourcenverbrauch und den systematischen Raubbau an der Natur als unserer Lebensbedingung. Individueller Verzicht kann das nicht stoppen. Die Verzichtdebatte ist eine fromme Ablenkungsstrategie von einer wirkungsvollen Opposition gegen die großen, wissentlichen und bekannten Verursacher.

Burkhart Braunbehrens, Ebertsheim