brief des tages
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Zapfenstreich

„Eine Frage der Symbolik“, taz vom 14. 10. 21

Als Polizistensohn bin ich mit dem Ding Uniform aufgewachsen. Fakt ist, in einer uniformierten, hierarchischen Gemeinschaft, die die Bundeswehr eben ist, ist grundsätzlich kein Platz für Kritik und Selbstkritik. Und das obwohl es dafür einen gewissen rechtlichen Rahmen gibt, z. B. auch Befehle hinterfragen zu dürfen usw. Der Druck innerhalb dieser uniformierten Gemeinschaften ist so, dass das in 99,37 Prozent der Fälle nicht funktioniert. Und wieso eine Gesellschaft „postmilitärisch“ sein soll, solange es in ihr noch Militär gibt, kann ich nicht nachvollziehen. Unsere bundesrepublikanische Gesellschaft ist jedenfalls alles andere als postmilitärisch. Das fängt beim Kriegsspielzeug an und hört beim Großen Zapfenstreich auf. Letzterer war – neben der Befriedigung, die die meisten Soldaten durch ein solches Ritual wahrscheinlich erleben, man sehe sich nur die Blicke so manchen hochrangigen Offiziere an – wahrscheinlich nix anderes als Nachwuchswerbung. Denn, postmilitärisch hin oder her, es gibt immer noch genügend Menschen, die Gefallen an solchen Inszenierungen finden.

Karsten Neumann, Nürnberg