Angriff auf das „System VW“

Gewerkschafter vermuten, dass mit gezielten Enthüllungen und Gerüchten über die VW-Schmiergeldaffäre das deutsche Mitbestimmungsmodell diskreditiert werden soll. Staatsanwalt kündigt an, dass Sichtung der Akten „keine Ewigkeit“ dauert

AUS WOLFSBURGKAI SCHÖNEBERG

VW war das erste deutsche Unternehmen mit einer Mobbing-Richtlinie; die Mitarbeiter schuften in „atmenden Fabriken“ vier Tage lang und werden bezahlt wie anderswo Metaller für eine volle Woche. Viele Angestellte wären begeistert über die Bedingungen, die derzeit bei Europas größtem Autobauer herrschen. Personalvorstand Peter Hartz hat sie zusammen mit seinem Gesamtbetriebsrat Klaus Volkert durchgesetzt. Die Lösungen, die Jobs erhielten und neue schufen, galten als besonders intelligent und vorbildlich.

Die angebliche Schmiergeld-Affäre soll die Macht der SPD-nahen IG Metaller bei VW brechen, das „System VW“ soll geschliffen werden. Die Veröffentlichungen über „Edelnutten“ und „Lustreisen“, um Betriebsräte zu bestechen; die Berichte über ein Firmengeflecht von VW-Mitarbeitern, die als Strohmänner fungieren – all das sei nur der Versuch, das deutschlandweit einzigartige „Co-Management“ bei VW zu diskreditieren. So zumindest vermuten es gewerkschaftsnahe Kreise.

„Die Vorgänge und Gerüchte, die jetzt in die Öffentlichkeit gelangen, können auch das deutsche Mitbestimmungsmodell beeinträchtigen“, sagt Josef Esser, Gewerkschaftsforscher an der Universität Frankfurt. Angesichts der anstehenden Bundestagswahl hält er den Zeitpunkt der Affäre für „sehr interessant“. Immerhin zielen viele Vorwürfe auf den Schröder-Duzfreund Hartz. Gegen dessen früheren Mitarbeiter Helmuth Schuster ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft. Er soll Schmiergelder kassiert und über Scheinfirmen versucht haben, Geschäfte mit VW zu tätigen.

Die Affäre ist nicht mehr aus dem Wahlkampf herauszuhalten: Immerhin heißt einer der Anwälte des geschassten VW-Abteilungsleiters Klaus-Joachim G. Wolfgang Kubicki, der gleichzeitig als FDP-Fraktionschef in Kiel amtiert. Kubickis Parteikollege Rainer Brüderle spricht bereits davon, dass „solche Vorgänge“ zum „Sargnagel des deutschen Mitbestimmungsmodells werden“ könnten. Bei VW habe sich „eine Grauzone jenseits des Aktienrechts“ entwickelt, in der sich Manager und Gewerkschafter über Bezüge, Sondervergütungen und Prämien arrangierten. Zudem kritisierte der FDP-Vize, dass Niedersachsen durch das VW-Gesetz im Konzern mitbestimmt. Das Land müsse die Beteiligung aufgeben. Kubicki tat gestern unschuldig: Er habe „den Eindruck, dass mein Mandant als Bauernopfer ausgesucht wurde, um dem König – Peter Hartz – ans Leder zu kommen“.

Die Gewerkschaften vermuten hingegen, dass die Informanten über den „Wolfsburger Sumpf“ aus VW-Aufsichtsratskreisen stammen. Einer der recherchierenden Hauptakteure, Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, hält diese These für irrelevant: „Mich interessiert nicht, wem etwas nützt, sondern wie das System VW war“, sagt Leyendecker zu taz. Weitere Enthüllungen der SZ würden folgen, „wenn es die Informanten wollen“.

Erhärtet sind bisher nur wenige Fakten: So gab Exbetriebsratschef Volkert inzwischen zu, „auf Drängen der Herren Schuster und G.“ Anteile an der tschechischen Firma F-BEL übernommen zu haben. F-BEL soll sich um den Bau eines „Autopalasts“ in Prag nach dem Vorbild der Autostadt in Wolfsburg beworben haben. Volkert bedauerte seine Beteiligung, betonte allerdings, die Firma habe keine Geschäfte getätigt. Währenddessen schloss ein Sprecher der Braunschweiger Staatsanwaltschaft nicht aus, dass weitere Straftaten oder Verdächtige zu den Vorwürfen hinzukommen. Die Sichtung der von VW übergebenen Unterlagen werde aber „keine Ewigkeit mehr dauern“.