Das Geheimnis des Kindersegens: Flexibilität

Mehr Zeit für Kinder heißt nicht unbedingt, weniger zu arbeiten. Selbstbestimmte Arbeitszeiten können schon reichen

BERLIN taz ■ Mehr Kinder, mehr Jobs, mehr Wachstum: All das ließe sich nach Ansicht von Bert Rürup mit einem einzigen Mittel erreichen: Die Arbeitszeiten müssten „flexibler und familienfreundlicher sein“. Dies ist das Ergebnis eines Gutachtens, das der Wirtschaftssachverständige gestern veröffentlichte.

Rürup ermittelte zwei Tendenzen. Viele Mütter, die Vollzeit arbeiten, hätten gern mehr Freiraum fürs Kind. Anders die Teilzeitkräfte: Sie wünschen sich häufig ein höheres Stundenpensum. Das Ideal ist die „große Teilzeitstelle“, so Rürup – die bei etwa 30 Wochenstunden liegt. Noch aber kennzeichnet die Situation eher ein Schwanken zwischen den Extremen.

So gaben 69 Prozent der Akademikerinnen an, sie seien „sehr“ gestresst im Bemühen, Beruf und Familien zu verbinden. Telearbeit, Job-Sharing, gleitende Arbeitszeit oder Arbeitszeitkonten könnten den Druck mindern. Aber noch sind sie eine Ausnahme.

Doch die überarbeiteten Mütter sind nur die eine Seite der Misere. Auf der anderen Seite stehen jene, die trotz Elternzeit gerne teilzeitjobben würden. Vier von fünf Beschäftigen wünschen sich laut der Rürup-Studie entsprechende Angebote. Aber nicht einmal jeder dritte Betrieb bietet sie an. „Zu viele Frauen müssen sich zwischen Kind und Karriere entscheiden“, bemängelt Rürup. Wären die Arbeitszeiten flexibler, ließe sich die Frauenerwerbsquote um sechs bis acht Prozent steigern. Noch aber dürfen viele Mütter allein am Wickeltisch wirken.

Rürup plädiert für mehr Flexibilität. Firmen sollen Müttern ermöglichen, jeden Tag eine halbe oder volle Stunde kürzer zu arbeiten. Dann könnten sie ihr Kind rechtzeitig von der Kita abholen. „Schon solche winzigen Maßnahmen helfen enorm.“ Mehr Mut zu flexiblen Bürozeiten, das könnte nach dem Urteil Rürups noch ein weiteres Problem lindern: Die Kinderflaute. Dürfte jeder so lange oder kurz arbeiten, wie er möchte, könnte laut Studie die Geburtenrate auf 1,7 Kinder pro Frau steigen. Noch, so wissen es die Statistiker, klafft eine Kluft. Die deutsche Frau wünscht sich im Schnitt genau diese 1,7 Kinder. Sie bekommt aber lediglich 1,3 Kinder. Familienfreundliche Bürozeiten könnten Zögernde überzeugen.

Die schöne neue Jobwelt soll auch vor den Vätern nicht halt machen. Männer, die Zeit fürs Kind einfordern, würden stärker noch als Frauen von Chefs und Kollegen diskriminiert, so Rürup. „Das muss sich dringend wandeln – auch im Sinne der Gleichstellung der Frau.“

Ein Problem allerdings kann auch das beste Gutachten nicht lösen: Selbst unter Betriebsräten gilt Familienfreundlichkeit derzeit als Luxusproblem. In Zeiten, in denen viele um Jobs zittern, traut sich kaum einer, auf mehr Zeit fürs Kind zu bestehen.

COSIMA SCHMITT

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