Wende in Runde vier

VON MARKUS VÖLKER

Sie haben sich bis zuletzt ein hartes Duell geliefert, die Repräsentanten von Paris und London. Es wurde gestichelt, unterstellt und geätzt. Jacques Chirac, Frankreichs Präsident und oberster Olympiapropagandist, sprach den Briten die Olympiatauglichkeit ab, da sie ja auch kulinarisch nichts hinbekämen. „Man kann Leuten nicht trauen, die so schlecht kochen. Nach Finnland ist es das Land mit dem miesesten Essen.“ Außerdem sei der größte Exportschlager der Briten BSE gewesen. 2012 muss Frankreich seine Athleten in das Land von Fish and Chips, von Porridge und Plumpudding schicken. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) kürte am Mittwoch in Singapur London zur Olympiastadt – und nicht die favorisierte französische Hauptstadt, die von der technischen Evaluierungskommission vor einem Monat auf Platz eins gesetzt worden war. Beide Metropolen hatten es in den letzten und entscheidenden Wahlgang geschafft. Nach dem ersten Votum der etwa 100 stimmberechtigten IOC-Mitglieder war Moskau ausgeschieden. Dann verließ New York den Kreis der Anwärter. In Runde drei scheiterte Madrid knapp hinter Paris und London. Da offenbar jene IOC-Funktionäre, die Madrid präferiert hatten, mehrheitlich London ihre Stimme gaben, hatte Paris das Nachsehen, mit 54:50 Stimmen.

Es sollte das Wahlvolk wenig beeindruckt haben, dass es ausgerechnet beim Besuch der IOC-Späher in Paris zu einem Streikaufruf der Gewerkschaften gekommen war, und auch der Versuch der Briten, Zweifel an der Tauglichkeit des Stade de France aufkommen zu lassen, dürfte nicht von Belang gewesen sein. Wichtiger waren da schon stille Allianzen, die in Singapur geschmiedet worden waren und zum Stimmendrift im letzten Wahlgang geführt haben.

Das Szenario des Scheiterns sollte den Parisern bekannt vorgekommen sein. Zum dritten Mal haben sie sich in den fünf Ringen verfangen. Auch die Bewerbungen für die Sommerspiele 1992 und 2008 endeten enttäuschend. Paris glaubte sich diesmal vorn, da mit den Jahren enge Bande zum elitären Zirkel des IOC entstanden waren. Gegen die Franzosen mag gesprochen haben, dass sie mit den Winterspielen 1992 erst kürzlich ein olympisches Großereignis ausgerichtet haben. Für Verstimmung sorgte zudem, dass das französische IOC-Mitglied Guy Drut in einen Korruptionsskandal verstrickt ist; Drut muss sich vor Gericht verantworten. Die französische Delegation wollte dennoch nicht wahrhaben, was IOC-Präsident Jacques Rogge verkündete. „Zum dritten Mal zu scheitern, ist unbegreiflich“, sagte Tony Parker, Basketballprofi bei den San Antonio Spurs, der sich für Paris eingesetzt hatte.

London wird im Jahre 2012 seine dritten Sommerspiele ausrichten, nach 1908 und 1948. Seitdem erschien Großbritannien nicht mehr auf der Landkarte des IOC. Die Rückkehr betrieben die Briten um Bürgermeister Ken Livingston und Sebastian Coe, den ehemaligen Mittelstreckler, energisch, manchmal überschritten sie die Grenze des Erlaubten. Die Ethikkommission des IOC musste einschreiten, als Londons Vertreter der internationalen Sportwelt ein unmoralisches Angebot unterbreitete: Dutzende Nationale Olympische Komitees sollten insgesamt 16,3 Millionen Euro erhalten. Premier Tony Blair versuchte in den letzten Tagen, das Duell der Metropolen zu versachlichen. Die Sticheleien Chiracs konterte er kühl.

Die Nachricht vom Sieg Londons erreichte Blair nicht mehr in Singapur. Er hatte sich, nachdem er den Oberolympiern seine Aufwartung gemacht hatte, auf den Weg zum G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles begeben. Dort treffen sie wieder aufeinander, Chirac und Blair, der Verlierer und der Gewinner. Dort können sie ihre „amour violent“ vertiefen, wie Chirac die Beziehung zum Inselvolk charakterisierte.