piwik no script img

Imagination als Werkzeug

Der Badische Kunstverein zeigt neue Filminstallationen von Gitte Villesen, die sich von Science-Fiction-Autorinnen zu fiktiven Gegenwelten inspirieren ließ

Von Carmela Thiele

Science-Fiction ist nicht jedermanns Sache. Andere lieben es, wenn Natur und Gesellschaft dem Klammergriff der schnöden Realität entzogen sind. Das Fantastische wird zum Tor für Gedankenexperimente und Sehnsüchte, die woanders keinen Raum haben. Das gilt vor allem für feministische ­Science-Fiction-Autorinnen, die den Kampf gegen das Patriarchat mit den Mitteln der Fantasie ausfochten.

Gitte Villesen outet sich mit ihren drei neuesten Filminstallationen als Sci-Fi-Fan. Ihre Kunst ist nicht nur inspiriert von Werken Octavia E. Butlers, Suzette Haden Elgins und Ursula Kroeber Le Guins, vielmehr stellt sie seit 2016 diesen Einfluss bewusst aus. Zitate aus den Werken der Autorinnen tauchen in den Titeln oder als Überblendungen der Filmbilder auf. Doch sind ihre mehr als zwanzigminütigen, assoziativ zusammengesetzten Bildsequenzen mehr als Nacherzählungen der literarischen Vorbilder. In ihrer bisher größten Einzelausstellung im Badischen Kunstverein entfaltet die 1965 in Dänemark geborene Künstlerin eine fiktive Gegenwelt, erzählt in hyperrealen Filmbildern.

Zu dem Fantasy-Outing hätten Freunde sie motiviert, erzählt Gitte Villesen. Lange verfolgte sie in ihrem Werk einen dokumentarischen Ansatz, den sie nach ihrem Studium an der Königlichen Akademie der bildenden Künste in Kopenhagen entwickelt hatte. Sie führte Interviews mit Menschen, die ihre Geschichte erzählten, die dann zur Geschichte einer ihrer Filme wurde. „Es gibt viele Bilder und Aufnahmen, die letztendlich nicht veröffentlicht wurden“, sagt sie. „Aber es ist immer so gewesen, dass ich in dem Moment, in dem ich ein Interesse an einem Menschen hatte, einen Weg fand, eine eigene Story zu kreieren.“

Für diese Form des authentischen Erzählens und Wiedererzählens ließ die Künstlerin die Interviewten etwas vor der Kamera sagen, tun oder zeigen.

Eine große Auftragsarbeit für den Campus Roskilde führte sie nach Gambia, wo sie mit dem Musiker Amadou Sarr das Dorf besuchte, in dem er geboren wurde. Dort filmte Gitte Villesen unter anderem eine Performance der Theatergruppe Dental. Jahre später entstand in Zusammenarbeit mit dem Theatermacher Saidou Ndiaye aus dem Material eine der in Karlsruhe ausgestellten Arbeiten. „In der Filminstallation ‚The Play, the Actor, the Improvisation‘ nutzen Frauen das Theater, um ihre eigene Gesellschaft zu diskutieren und ihr eigenes Aktionsfeld zu erweitern“, erläutert die Künstlerin. Geschichten könnten etwas bewirken.

Die Natur belauschen

An die Stelle der Menschen sind in ihren neusten Arbeiten Landschaften getreten, ein im Licht flirrendes Moor, ein Wolkenbruch über einem italienischen Städtchen oder eine karge Bergformation. Die Natur spricht ihre eigene Sprache, die Filmemacherin bildet sie nicht ab, sondern belauscht sie geduldig mit Kamera und Mikrofon. Für die Filminstallation „Ihere is an Affinity“ nutzte sie Aufnahmen, die sie im Botanischen Garten in Berlin machte. Kombiniert sind sie mit Zeichnungen des Mikrobiologen Raoul H. Francé. Eingeblendete Zitate aus Octavia E. Butlers Roman „Dawn“ imaginieren eine Begegnung aller Lebewesen auf sensitiver Ebene – einschließlich des Menschen.

Entstanden ist eine Monotypie. Es ist, als habe sich die Pflanze selbst gezeichnet

In dem für die Schau im Badischen Kunstverein produzierten Film „It changed radically: grew fur again, lost ist, developed ­scales, lost“ arrangiert in einer der Sequenzen eine Frau Pflanzen auf einem weißen Blatt Papier. Sie bedeckt das Ganze mit einem zweiten Blatt, bevor sie alles vorsichtig durch eine Kupferstichpresse dreht. Der Abdruck erzeugt überraschende Farben und Strukturen. Entstanden ist eine Monotypie. Es ist, als habe sich die Pflanze selbst gezeichnet.

Da die Filmarbeiten im Loop gezeigt werden, die Betrachter in den Fluss der Bilder ein- und aussteigen, ist es unmöglich, eine Handlung oder eine folgerichtige Argumentation zwischen den angerissenen Themen zu erkennen. Es geht um Legasthenie, um entsprechende Therapien, und um die Frage, ob in solchen Schwächen nicht auch Stärken liegen. Die mitunter übercodierten Assoziationsfetzen und Bilder werden meist geerdet durch dokumentarische Einsprengsel wie die Szene mit der Druckerpresse, die sich bei Gitte Villesen immer als die eigentlich wahren Geschichten erweisen.

In „Deeply immersed in the content if a learning stone“ mischen sich Le-Guin-Zitate mit Aufnahmen präparierter Tiere im Naturkundemuseum und Abbildungen von Werken sogenannter „Geisteskranker“ aus der Prinzhorn-Sammlung. Der literarische Wink mit dem Zaunpfahl trägt nicht immer dazu bei, den divergenten Bildern zu folgen. Diese sollen laut Infotext „verschiedene Geschlechterkonstruktionen und Machtdynamiken“ verdeutlichen. Kann sein, dass solche analytischen Begriffe bei diesem Assoziationslabyrinth ihre Berechtigung haben. Klar aber ist: Gitte Villesen ist eine Geschichten­erzählerin und keine Theoretikerin. „Wenn ich Fiktion schreiben könnte, wäre ich Schriftstellerin geworden“, bekennt sie. Es ginge um Imagination als Werkzeug, um mit unserer Umgebung um­gehen zu können.

Traum und Wirklichkeit, Fiktion und Realität, zwischen diesen Polen navigiert das menschliche Bewusstsein. In Gitte Villesens Filmarbeiten nähern sich diese Gegensätze auf vielen, sich durchdringenden Ebenen an. Ihre Montagen aus Sound, Text, Film und Archivmaterial entwickeln etwas Magisches. Sie sind eine Hommage an die Vielgestaltigkeit des Lebendigen und die Kraft der Transformation.

Bis 5. Dezember, Badischer Kunstverein, Karlsruhe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen