Auf eine Zigarre mit Freud und Lacan

THEORIE UND PRAXIS Die neu gegründete Psychoanalytische Bibliothek Berlin vereint Archiv, Veranstaltungsort und Praxisräume. Heute hält dort der Philosoph Rudolf Heinz einen Vortrag über Jacques Lacan und die Musik

Lacans These: Analytiker und Analysant sind so wie Orpheus und Eurydike

VON TIM CASPAR BOEHME

Berlin ist im deutschsprachigen Raum ein Zentrum für Psychoanalyse nach Jacques Lacan. Von der 1997 gegründeten Freud-Lacan-Gesellschaft über den Psychoanalytischen Salon bis zur Lacan Gruppe in Berlin gibt es verschiedene Organisationen und Initiativen von Psychoanalytikern, die sich besonders auf das Werk des Psychoanalysebegründers Sigmund Freud und dessen Neuinterpretation durch seinen französischen Kollegen Jacques Lacan konzentrieren – weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Mit der zu Beginn des Jahres eröffneten Psychoanalytischen Bibliothek Berlin e.V. könnte sich das ein wenig ändern. Diese erste deutschsprachige Fachbibliothek für den hierzulande hauptsächlich unter Geisteswissenschaftlern bekannten Lacan bietet einen festen Ort, der als Archiv für psychoanalytische Literatur und zugleich als feste Institution für Veranstaltungen dient – und an den psychoanalytische Praxisräume angeschlossen sind. Die dort praktizierenden Analytiker arbeiten nach der von Lacan entwickelten Methode mit variablen Sitzungsdauern und Preisen, die den individuellen Verhältnissen der Analysanten angepasst sind.

Ein Anlass für die Gründung war der Tod der Psychoanalytikerin Jutta Prasse 2004. Prasse, eine der zentralen Figuren der Lacan-Rezeption in Deutschland, hatte der von ihr mitgegründeten Freud-Lacan-Gesellschaft ihre Bibliothek hinterlassen. „Es gab die Bücher von Jutta Prasse, aber keinen Ort dafür“, so Birgit Pungs, Psychoanalytikerin und stellvertretende Vorsitzende des zur Bibliothek gehörenden Vereins. „Dann kam die Idee zu der Bibliothek.“

Fündig wurde man in der Charlottenburger Hardenbergstraße, in den ehemaligen Räumen der Berliner Steinway-Verkaufsniederlassung mit angeschlossenen Werkstätten des berühmten Klavierbauers. In einem ruhigen Hinterhof gelegen, erlaubt der langgestreckte Bibliotheksraum genügend Platz für Vortragsveranstaltungen, die Praxen sind direkt nebenan. Gegenwärtig setzen sich die Buchbestände der „PsyBi“ – so die offizielle Abkürzung – aus Nachlässen und Buchspenden zusammen. Darunter sind auch Bücher aus der Bibliothek des im vergangenen Herbst verstorbenen Medienwissenschaftlers Friedrich Kittler: Der Psychoanalytiker Masaaki Sato, Vorsitzender des Bibliotheksvereins, war als Kulturwissenschaftler einer seiner Schüler.

Ein Ort für psychoanalytische Praxis, Theorie und Kulturanalyse gleichermaßen

Für die Zukunft ist geplant, weitere Titel anzukaufen und Zeitschriften zu abonnieren. Eine eigene Zeitschrift ist ebenfalls in Vorbereitung. In einer Zeit, in der die Psychoanalyse, so Pungs, „ins staatliche Kassensystem eingefügt und entsprechend verflacht wurde“, kann man das Engagement für die Bibliothek nur begrüßen. Und das ist durchaus als Zeichen gegen vorherrschende Trends zu verstehen, wie Schriftführerin Simone Bernet ausführt: „Da, wo vorher der Psychoanalytiker aufgetreten ist, werden jetzt die Gehirnforscher befragt. Die Neurowissenschaften haben die Psychoanalyse ersetzt. Sie haben aber nicht das gleiche Geschichts- und Kulturbewusstsein wie die Psychoanalytiker.“

Insofern versteht sich die Psychoanalytische Bibliothek durchaus als Ort, an dem psychoanalytische Praxis, Theorie und Kulturanalyse gleichermaßen aufgehoben sind. Sie dient den angeschlossenen Analytikern zudem, ihre Arbeit stärker zu vermitteln. Jeden vierten Donnerstag im Monat gibt es eine offene „Gesprächsrunde mit Psychoanalytikern zu Fragen der psychoanalytischen Kur“ und mehrmals im Monat Vortragsveranstaltungen, zu denen ebenfalls Filmvorführungen zählen. „Uns interessiert auch, den lebendigen kulturellen Background, den die Psychoanalyse hat, auszuschöpfen, und nicht nur den klinischen. Das ist auch die Spezialität der deutschsprachige Lacan-Rezeption“, sagt Bernet.

So gibt es heute Gelegenheit, eine weitere Dimension des kulturellen Hintergrunds der Psychoanalyse kennen zu lernen: der Philosophie als Inspiration und Korrektiv. Der Düsseldorfer Philosoph Rudolf Heinz setzt sich seit Jahrzehnten mit der gegenseitigen Aufklärung von Philosophie und Psychoanalyse auseinander und wird in seinem Vortrag „Orpheische Höllenfahrt der Psychoanalyse? Lacan und die Musik“ Fragen zur Musikalität in Lacans Texten erörtern und in „mythosophischer“ Tradition Lacans These nachgehen, das Verhältnis von Analytiker und Analysant entspreche dem von Orpheus und Eurydike – Parallelen, die Erkenntnisgewinn jenseits der naturalistischen Perspektive der Neurowissenschaften versprechen.

■ „Orpheische Höllenfahrt der Psychoanalyse? Lacan und die Musik“, heute, 20 Uhr. Infos: www.psybi-berlin.de