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: Neu-Berliner Rockmusik in den Nächten und bis zum Sonnenaufgang: Novochild und Alphacloud

Also gut, Kinder, ausnahmsweise erzählt der Opa mal wieder vom Krieg. Es gab einmal eine Stadt, um die hatten missmutige Menschen eine Mauer gebaut. Deshalb war die Stimmung in dieser Stadt immer ein bisschen düster. Aber gerade deshalb hielten die Bewohner sich einiges darauf zugute, die Nacht regelmäßig zum Tage zu machen und ansonsten oft keinen anderen erwähnenswerten Beschäftigungen nachzugehen. Es war eine wunderliche, wenn auch weitgehend glückliche Zwischenzeit, die von tollen Politikersegnungen mit sperrigen Namen wie „Berlinzulage“ ermöglicht wurde. Die Hymne auf diesen Zustand schrieb eine Band namens PVC: „Berlin By Night“. Das flotte, vom damals gerade ziemlich angesagten Punkrock inspirierte Lied handelte von „seltsamen Kreaturen“, die tagsüber schlafen und nach Sonnenuntergang die U-Bahn bevölkern.

So viel hat sich seitdem nicht verändert. Der größte Unterschied: Die nachtaktiven Kreaturen sprachen damals nur selten Spanisch, Italienisch oder Englisch, sondern Schwäbisch, Fränkisch oder Hessisch. Ein weiterer Unterschied: Das aktuelle Lied zum Thema, das Novochild geschrieben und grammatikalisch sehr viel korrekter „Berlin At Night“ genannt haben, ist nicht nur langsamer, stimmungsvoller und musikalisch komplexer. Es dokumentiert auch, dass die Nächte seitdem noch länger geworden sind: „The daylight is breaking the night“, singt Leandro Fest vom Morgengrauen. Und gleich der nächste Song klingt zu Beginn wie „Berlin“ von Fischer-Z, noch so eine Hymne aus den achtziger Jahren auf die Mauerstadt.

Tatsächlich könnte man „Waiting For A Sign“, dem neuen Album des Quintetts, sogar unterstellen, sich musikalisch bisweilen an anderen großen Liebhabern Westberlins, einer irischen Band namens U2, zu orientieren. Auf jeden Fall hat man lange keine Band aus Berlin mehr gehört, die so schamlos die großen Stadien anvisiert: Die Melodien sind mächtig, die Gitarren breit und Sänger Leandro Fest, der aus Argentinien stammt, packt die gute alte Reibeisenstimme aus. Dass für einige Songs spanische und deutsche Texte geschrieben wurden, klingt zwar nach Kunstanspruch, spielt aber gar keine Rolle angesichts der zwar geschmeidigen, aber gern mit ihren Muskeln spielenden Rockmusik.

Ähnliches ließe sich sagen über Alphacloud. Allerdings stammt Sänger William Bresson aus Frankreich und singt ausschließlich Englisch. Der Rest der Band, die er in Berlin rekrutiert hat, spielt dazu auf dem Debütalbum „Past Forward“ einen zwar ähnlich abgehangenen Rock, der sich aber eine Spur mehr Pop gönnt und bei Electro bedient. Aber auch hier ist erstaunlich, wie souverän die Konventionen des Mainstream-Rock durchdekliniert werden, ohne dass zu oft das Gefühl aufkommt, man wohne bloß der Wiederaufführung eines totgespielten Boulevardstückes bei. Nein, die Darsteller sind mit Engagement bei der Sache, die Gefühle weitgehend authentisch, die Inszenierung voller Details. Fehlt noch der Berlin-Song: Der heißt „A New City“, und in ihm ist die Sonne bereits aufgegangen. THOMAS WINKLER

■ Novochild: „Waiting For A Sign“ (office4music.com), Record Release Konzert am 30.6. im Lido ■ Alphacloud: „Past Forward“ (Download auf alphacloud)