berliner szenen: Christian Lindner ist der Einzige
Samstagvormittag ist eigentlich ein blöder Zeitpunkt, um ohne Termin zum Friseur zu gehen. Da lassen sich alle die Haare schneiden, die unter der Woche nicht dazu kommen, denke ich und packe extra Lesestoff ein, fürs Warten. Doch seltsam: Der Salon in Kreuzberg 36 ist fast leer, nach fünf Minuten komme ich an die Reihe.
Seit Corona sei das Geschäft nicht mehr richtig angelaufen, erzählt die Friseurin, während sie mir das Shampoo in die Haare reibt. Ihr Kollege geht derweil in den Supermarkt, ist ja nichts zu tun. „Ich verstehe das nicht, die Leute kommen seit zwei Jahren nicht, dabei sind wir schon lange wieder da.“ Die Kundin vor mir habe sich selbst den Pony geschnitten, das habe man natürlich gesehen. Etwas Aufwändigeres wie Strähnchen lasse gar niemand mehr machen. Sie regt sich richtig auf. „Haareschneiden gehört doch zur Körperpflege!“
Ich sage lieber nicht, dass mir zuletzt meine Tochter die Haare gestutzt hat. In Gedanken gehe ich meine FreundInnen durch, kann mich aber nicht an verwahrloste Frisuren erinnern. Jedenfalls nicht mehr als sonst.
Natürlich sei sie geimpft, sagt die Friseurin, während sie mir die Spitzen schneidet. Aber der Lockdown, die wechselnden Regelungen, mal muss ein Test sein, dann wieder nicht, dieses Hin und Her habe sie beinahe den Job gekostet. „Christian Lindner ist der Einzige, der die Regierung richtig rund gemacht hat.“ Deshalb habe sie auch FDP gewählt.
Das überrascht mich dann doch. Ich wende ein, dass die Liberalen Steuern für Reiche abschaffen und sicher nicht den Mindestlohn erhöhen wollen. Die Friseurin verzieht gequält das Gesicht. „Ich weiß, ich weiß.“ Es klingt wie: Kommt nicht wieder vor, aber diesmal musste es sein.
Als ich gehe, macht sie Pause, zwangsläufig. Neue Kunden sind nicht in Sicht. Antje Lang-Lendorff
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