Fahrraddiebe!

Gekauft, codiert, geklaut: Die Kriminalstatistik erfasst bundesweit jährlich 412.097 Fahrraddiebstähle. Es ist einfach zum Heulen. Und manche haben schon resigniert

von Yvonne Smidt

Es mufft. Irgendwie säuerlich. Die angekündigten Sonnenstunden lassen auf sich warten. Mittlerweile zeigt die Uhr auf dem Revier halb neun,und der erste mutmaßliche Fahrraddieb verabschiedet sich mit jugendlicher Leichtigkeit. Ein 24-Jähriger, der der Polizei bereits als Drogenkonsument bekannt ist. Zwei Beamte hatten ihn mit einem neuen Herrenrad auf dem Flohmarkt aufgegriffen – angeblich geliehen von einem Bekannten. Er wollte nur spazieren gehen. Den Bekannten erreichen die Beamten zur Überprüfung der Aussage nicht. Also kann der junge Mann vorerst wieder gehen – allerdings ohne das Rad.

„Mir haben sie nach dem dritten Rad die Versicherung gekündigt“, berichtet eine Kollegin. Sie versteht meine Leidensgeschichte nur allzu gut: drei gestohlene Räder innerhalb von acht Monaten. Sie hat resigniert: Nach dem dritten Fahrradklau kauft sie nur noch alte Gebrauchträder. Das kann aber auch nicht die Lösung sein: Zwei meiner abhanden gekommenen Räder waren nämlich alt und gebraucht. Zuletzt habe ich mir für 500 Euro ein neues Rad geleistet. Ich hatte es sogar bei der Polizei codieren lassen. Zwei Tage später war es weg – trotz Panzerkabelschloss. Kein Schloss sei unknackbar, warnt auch der führende Hersteller.

Vor lauter Wut habe ich erstmal eine Runde geheult. Fünfhundert Euro! Jetzt muss ich diese schönen Sommertage wieder mit der stickigen Strapazenbahn pendeln und warten, bis von der Versicherung das Geld kommt – und vielleicht auch gleich die Kündigung. Bei der Anzeigenaufnahme trösteten mich die Polizisten mit den Worten, das sei nun einmal so, daran könne man nichts machen. Vielleicht bin ich naiv, aber wieso muss ich mich damit abfinden, dass mir, und nicht nur mir, alle paar Monate auf Nimmerwiedersehen das Fahrrad gestohlen wird? So kam es, dass ich mich eines Sonntags mit der Polizei früh morgens um halb fünf auf die Bremer Bürgerweide begab, zum großen Flohmarkt, um nach gestohlenen Fahrrädern zu fahnden.

Das erste sichergestellte Diebesgut sind an jenem Sonntag zwei Autoradios. Die Geständigen zwei Junkies. Selber gestohlen haben wollen sie die Radios allerdings nicht. „Die haben wir von einem anderen Abhängigen“, sagt einer der beiden mit brüchiger Stimme. Er erinnert sich wohl an die nicht beglichenen 1.100 Euro Schulden und seinen Haftbefehl. Vielleicht fürchtet er nun die bevorstehenden Entzugserscheinungen im Knast.

Allein an jenem Wochenende sind von Freitagnacht auf Sonntagfrüh 32 Fahrraddiebstahlsanzeigen bei der Bremer Polizei eingegangen. Wochentags, so heißt es, sei es eher mau. Der Trick sei nämlich, frisch geklaute Räder möglichst schnell wieder zu verkaufen, noch bevor die Besitzer den Verlust bemerken und melden können. Und samstags ist Flohmarkttag. Mit dem Sommer beginne die Hochkonjunktur, informiert die Polizei.

Da im Jahr 2004 in der Stadt Bremen fast 10.000 Räder, das sind 26 pro Tag, weggekommen sind, gibt es seit vergangenem Sommer eine Ermittlungsgruppe Fahrrad. Die Aufklärungsquote lag im vergangenen Jahr bei mickrigen vier Prozent. Hamburg ist allerdings noch schlechter. Die haben ja laut Polizeipressestelle auch keine eigene Ermittlungsgruppe geschweige denn ein Spezialprogramm. Neidisch blickt die Bremer Polizei hingegen nach Oldenburg und Braunschweig. Dort werden Aufklärungsquoten von 10 bis 14 Prozent erreicht.

Junkies seien im Fahrradschwarzhandel eine Art Zulieferer, weiß der Leiter der Ermittlungsgruppe Andreas Bellmann. Sie würden die Räder an Hehler weiter verkaufen. „Das sind dubiose Großhändler, die mit den Rädern richtig Geld verdienen.“ Wir warten an der Straße und es dauert keine fünf Minuten, da überholt uns das nächste Junkie-Pärchen. Zwei Männer Mitte dreißig. Die gelbliche, aufgedunsene Haut und der träge Gang des einen lassen keinen Zweifel zu. In der linken Hand schiebt er ein neues, silbernes Mountainbike.

Sein Begleiter wirkt körperlich gepflegt und gesund und ist leider derjenige, der die Verfolgung bemerkt. Ihr Versuch, sich zu trennen, misslingt. Bereitwillig kommen sie mit zur nahe gelegenen Wache und geben ebenso bereitwillig zu, das Rad am vorherigen Tag von einem Grundstück in einem Nobelviertel mitgenommen zu haben. Eine Anzeige mehr oder weniger, was macht das schon. In leiser Zeitlupenstimme und mit verschmitztem Grinsen verrät der Fixer: „30 Euro wollte ich dafür schon haben.“ Im Fachhandel dürfte das Mountainbike wohl fast das Dreißigfache kosten.

Der Umgangston mit den Junkies ist väterlich-streng bis kumpelhaft. An wen sie das Mountainbike verscherbeln wollten, bleibt ungewiss. Man werde angesprochen, erzählen sie. Der vermeintlich Gesunde wird langsam unruhig. Er habe einen wichtigen Termin bei der Drogenhilfe, um sich sein Methadon abzuholen. Da der Schreibkram sowieso erst am Montag folge, lassen ihn die Beamten ziehen. Freiwillig gibt er noch sein mitgeführtes Hasch ab. „Die Junkies können auch nichts dafür. Sie sind krank und finanzieren damit nur ihre Sucht“, kommentiert einer der Fahrrad-Gruppe und öffnet wegen der schlechten Luft ein Fenster.

Von den anfänglich acht Beamten sind nach dem knapp einjährigen Bestehen der Ermittlungsgruppe Fahrrad weniger als die Hälfte übrig geblieben – nämlich dreieinhalb Stellen. Wenn im Juli einer von ihnen zur Kripo wechselt bleiben bloß noch zweieinhalb. Um die Ermittlungsgruppe personell wieder aufzustocken, müsste eine Wache oder eine andere Abteilung Personal abgeben. Doch das macht keiner freiwillig. Kontrollaktionen wie die heutige „finden eher selten statt“, heißt es.

Zwei junge Männer aus Litauen werden von den Beamten gebeten, ihren Kleintransporter zu öffnen. Auf der Ladefläche sind bis unter das Dach mehr als 20 neue Sporträder gestapelt. Sattel und Lenker zum besseren Verstauen abmontiert und Decken dazwischen, damit die Räder nicht verschrammen. „I buy them here for 20 or 50 Euros. It’s my business you know“, beteuert einer der beiden seine Unschuld, als er begreift, dass es hier um die Überprüfung von möglicherweise gestohlenen Rädern geht. Per Telefon geben die Polizisten die Rahmennummern an die Zentrale weiter. Doch Fehlanzeige: Laut Computer gilt keines dieser Fahrräder als gestohlen. Und meins ist auch nicht dabei. Ich bin hin- und hergerissen: Einerseits nehme ich den beiden ihr reines Gewissen ab, andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass man so gute Räder auf legalem Wege so billig bekommt. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die beiden Jungs das glauben. „It’s okay“, die Polizisten lassen sie wieder einpacken und erkundigen sich noch, wie lange man nach Litauen unterwegs ist. „16 hours non-stop.“

Die Ermittlungsgruppe Fahrrad entwickelt momentan ein Datennetz, mit dem Räder unabhängig von der Rahmennummer ihren Besitzern zugeordnet werden können. „Mit Merkmalen wie Marke, Farbe, Aufklebern undsoweiter grenzt man die Suche immer weiter ein“, erklärt Bellmann das System. Viele Radfahrer können ihre Rahmennummer nämlich nicht angeben. Vielleicht verbessert das Datennetz, die Aufklärungsquote. Aber um die Diebe abzuschrecken müsste man den Überwachungsdruck erhöhen, sagt Bellmann.

Viele Händler würden mittlerweile die Räder nicht mehr auf dem Flohmarkt anbieten, sondern sie am Rand abzustellen. Das soll das Risiko, entdeckt zu werden, verringern. Auffällig ist das aber doch: Viele Räder sehen nicht gebraucht aus. Zwei aneinander geschlossene Holland-Fietsen beispielsweise hängen voller Spinnweben. Zur Tarnung werden vor neue Damencityräder häufig Kinderräder geschlossen. Sie wirken ungepflegt, die Reifen sind fast platt. Immer wieder taucht das Modell eines roten Billigschlosses auf, auch an einem niegelnagelneuen Holland-Damenrad. Es ist nicht einmal an-, sondern nur abgeschlossen. Das Gewicht des Schlosses zerrt am vorderen Lichtkabel. Würde jemand so lieblos und fahrlässig sein neues Rad abstellen? Auch hier Fehlanzeige: Die kontrollierten Räder gelten nicht als vermisst. „Ich ärgere mich nicht mehr“, sagt ein Beamter auf dem Weg in die nächste Hundekloecke, „aber für die Besitzer tut’s mir leid.“

Im Treppenhaus des siebten Reviers stinkt uns der intensive Geruch nach verschimmeltem Käse schon entgegen. Schuld sind die Autoradiodiebe von heute früh. Die Beamten haben den sicher gestellten Rucksack als Raumluftverpester identifiziert. Er liegt da, es wird wärmer, er stinkt. Säuerlich, beißend.

Die Bilanz des Tages: sechs Fahrräder, zwei Autoradios und eine Festnahme. Ich hatte gehofft, meine Wut an dem Richtigen entladen zu können. Aber an wem? An den heruntergekommenen Junkies? Die haben doch ganz andere Probleme. An den zweieinhalb Polizisten der Fahrrad-Gruppe? Auch die falsche Adresse. „Trotz der Erfolge der Ermittlungsgruppe Fahrrad“, lautet die aktuelle Mitteilung POL-HB: Nr. 0340 der Bremer Polizei, „sind die Fallzahlen beim Fahrraddiebstahl seit Mai deutlich angestiegen. Auffallend viele Fahrräder werden im Innenstadtbereich, vor allem im Umfeld der Schlachte und in Bahnhofsnähe entwendet.“