ANSCHLÄGE IN LONDON: EIN WEITERER VERLUST VON BÜRGERRECHTEN DROHT
: Hoher Preis für Sicherheit

Mit dem Anschlag war zu rechnen. Politiker und Sicherheitskräfte haben seit den Attacken vom 11. 9. in den USA regelmäßig den Alarmzustand für London ausgerufen. Die Maßnahmen, die sie ergriffen haben, konnten jedoch nie einen Schutz vor solchen Anschlägen bieten. Die Konfiszierung von Nagelfeilen, Scheren und Wasserpistolen an Flughäfen, die Inspektion des Schuhwerks der Passagiere und die Untersuchung des Staubs in Laptop-Computern auf Sprengstoffspuren sind kosmetische Übungen, wenn man direkt nach der Untersuchung im Duty Free Shop Glasflaschen kaufen kann, deren abgeschlagener Hals eine wirksamere Waffe als eine Nagelfeile ist.

Die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten durch die Einführung von Personalausweisen mit biometrischen Daten, die Internierung Verdächtiger ohne Beweise und ohne Anklage oder durch Hausarrest und Kontaktverbot sind ebenfalls Maßnahmen, mit denen man das Problem nicht in den Griff bekommt, sondern eher verschärft, weil sie sich vor allem gegen muslimische Immigranten richten. Die Erkenntnis, dass nur politische Mittel überhaupt Erfolg haben können, ist nicht neu. Aber sie wird immer dringender für London.

Der Freude über die Vergabe der Olympischen Spiele an die britische Hauptstadt am Mittwoch folgte gestern die Ernüchterung. Der Anschlag erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Augen der Welt wegen des G-8-Gipfels auf Großbritannien gerichtet und die Sicherheitskräfte aus allen Landesteilen in die schottische Einöde verlegt waren. Olympische Spiele sind, weit mehr als ein G-8-Gipfel, ein Ereignis von hohem Prestige. Der britische Premierminister Tony Blair hat gestern seine Teilnahme am G-8-Gipfel unterbrochen, um nach London zurückzukehren. Er deutete bereits an, dass bei den Vorbereitungen auf die Spiele, die ab sofort beginnen, Sicherheitsvorkehrungen von beispiellosem Ausmaß getroffen werden. Einen Anschlag auf die U-Bahn, das wusste man auch vor den gestrigen Anschlägen, ist damit nicht zu verhindern. Es ist zu befürchten, dass die britische Regierung auf die Attacken lediglich mit weiteren Einschränkungen der Freiheiten und mit Katastrophenschutzübungen reagieren wird. RALF SOTSCHECK