brief des tages
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Christos Arc de Triomphe

„Christos letzter Traum“,

taz vom 18./19. 9. 21

Überall wird vom spät realisierten „Traum“ des Ehepaars Christo palavert und die Verhüllung als „Event“ charakterisiert. Sie ist so viel mehr! Durch die Verhüllung wird zunächst die reine Struktur der imposanten Architektur sichtbar gemacht; sie erzwingt die Konzentration auf Form und Format. Sie entlastet den Blick von Ornamenten, Reliefs und Figuren – kurzum vom gesamten äußerlichen Zierrat aus 200 Jahren. Schwerter und Rosse werden in den Hinter- oder auch Untergrund verbannt. Zum anderen verhüllt glitzernde Silberfolie die Geschichte selbst und problematisiert das seinerzeit Triumphale: den expansionssüchtigen Kaiser Napoleon, seine siegreichen Schlachten, die Namen der erfolgreichen Generäle, die „gloire des armées françaises“, den Sieg im Ersten Weltkrieg. Die Enthüllung nach ein paar Wochen wird symbolisch ein neues Kapitel aufschlagen: Frankreich in einem friedlichen Europa, die Freundschaft zwischen Ländern mit langen kriegerischen Traditionen, die Wandlung zur Demokratie. Der Reichstag in Berlin und der Arc de Triomphe in Paris spiegeln beim Verhüllen und Enthüllen dieselbe Grundidee. Rainer W. Hoffmann, Göttingen