Sie haben nicht nur Boll

TISCHTENNIS Das deutsche Team gewinnt den EM-Titel gegen Dänemark, weil es mannschaftlich geschlossener agiert als die Skandinavier

STUTTGART taz | Tischtennis in Deutschland ist mehr als Timo Boll. Bei der Europameisterschaft in Stuttgart bewiesen die Gastgeber wie schon im Vorjahr in St. Petersburg, dass die Herren-Nationalmannschaft auch gewinnen kann, wenn ihr Superstar ausnahmsweise nur einen der zwei Punkte erschmettert. Beim Titel-Hattrick nach 2007 und 2008 schlugen Boll, Christian Süß und Dimitri Ovtcharov Dänemark mit 3:2 in der mit 6.000 Zuschauern ausverkauften Porsche-Arena.

Die Dänen konnten nur einen überragenden Michael Maze entgegensetzen. „Kompliment! Maze spielte fantastisch und verdiente sich die zwei Punkte“, lobte Bundestrainer Richard Prause, „aber es ist ein Mannschaftswettbewerb, und von uns gewann jeder ein Match!“ Finn Tugwell und Martin Monrad sind als Nummer 97 und 126 der Welt nur Mitläufer von Maze. Deutschland ist als Nummer zwei hinter China für uns im Moment zu stark“, bestätigte Peter Sartz. Deswegen hatte der dänische Sportdirektor auch in der Vorrunde den Sepp-Herberger-Trick angewandt und wie der deutsche Fußballtrainer bei der WM 1954 beim 3:8 gegen Ungarn erst gar nicht seinen Besten gegen die Übermannschaft an die Platte geschickt. Ohne Maze hatte der Außenseiter flugs mit 0:3 den Kürzeren gezogen. Trotz des Einsatzes der europäischen Nummer drei blieb das „Wunder von Stuttgart“ allerdings am Mittwochabend aus.

„Ich habe Michael noch nie so stark gesehen, da kann man verlieren“, befand Boll nach dem Gewinn seines neunten EM-Titels. Der Düsseldorfer fühlte sich bei seiner früheren Stärke, dem Aufschlag-Rückschlag-Spiel, an die er nach seinen Rückenverletzungen erst wieder herankommen muss, „eine Klasse schlechter“. Der 28-jährige Maze führte den gleichaltrigen Einzeleuropameister bis zum 11:8 und 11:4 vor. Danach steigerte sich ein bereits verzweifelt wirkender Boll enorm. „Das Niveau im dritten und vierten Satz war sehr, sehr hoch“, sagte Prause. Mit einem 11:7 konnte der Liebling der Fans die Niederlage hinauszögern, ehe Maze mit einem 11:7 seinen ersten internationalen Erfolg über Boll feiern durfte.

Zuvor hatte der WM-Dritte von 2005 in den Linkshänder-Duellen 20 Niederlagen kassiert. „Es war klar, dass irgendwann der Tag kommt, an dem ich gegen ihn verliere“, sagte Boll, der sich auch an Niederlagen gegen Maze in der Bundesliga erinnern konnte. Den Weltranglistendritten deprimierte das 1:3 keineswegs. „Bei der EM in St. Petersburg wurde ich ebenfalls gegen Österreich und Weißrussland geschlagen und zog meine Schlüsse. Aus der heutigen Begegnung lerne ich einiges“, schickte Boll nach seiner ersten Niederlage in Stuttgart eine Kampfansage an Maze, der ihm im wohl im Einzel-Halbfinale am Sonntagmorgen gegenüberstehen dürfte.

Bolls Doppelpartner Süß konnte seinen Sieg vor der EM über Maze nicht wiederholen. „Ich bewegte mich sehr gut und war schnell auf den Beinen“, verriet der ansonsten oft zu verspielte Däne sein neues Erfolgsgeheimnis. Den Weltranglisten-27. aus Düsseldorf fertigte er zum Auftakt in drei Sätzen ab. Noch deutlicher fielen allerdings die Unterschiede zwischen dem deutschen Trio und den Mitläufern der Nordlichter aus. Boll gönnte Tugwell im zweiten Satz sogar nur einen Punkt und insgesamt lediglich 14.

Nach Mazes Ausgleich gegen Boll hoffte Sportdirektor Sartz auf eine Sensation, „als Tugwell im zweiten Satz vorne lag“. Doch Süß hatte seine „Nerven trotz des großen Drucks, weil jeder beim Heimspiel den dritten Mannschaftstitel erwartete“ im Griff. Den kurzzeitigen Rückstand drehte der Weltranglisten-27. zum 11:8 und schloss den dritten wie den ersten Satz unter dem Jubel der schon längst feiernden deutschen Anhänger mit 11:5 ab. An der Dominanz der DTTB-Auswahl dürfte sich in den nächsten Jahren kaum etwas ändern. Die Ersatzleute Patrick Baum und Bastian Steger, „die ihre Rolle ohne Murren ertrugen“ (Coach Prause), wären nicht nur bei den Dänen Leistungsträger.

HARTMUT METZ