Bakterielle Bedrohung

RESISTENZEN Auf der Suche nach neuen Antibiotika gegen Krankheitskeime

STOCKHOLM taz | Jährlich sterben allein in der EU 25.000 Menschen an Infektionen durch multiresistente Bakterien – bei diesen Stämmen spricht keins der gängigen Antibiotika mehr an. Die Krankenhauskosten für die Behandlung der entsprechenden PatientInnen belaufen sich auf mindestens 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. „Time to react“ heißt eine vom „Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC) und der „Europäischen Arzneimittelagentur“ (EMEA) verfasste Studie, die am Donnerstag in Stockholm anlässlich einer Konferenz zum Thema Antibiotikaresistenz veröffentlicht wurde. In ihr wird zum ersten Mal das Vorkommen multiresistenter Keime in allen 27 EU-Ländern im Zeitraum 2002 bis 2007 untersucht. „Und die Situation ist schlimmer, als wir glaubten“, sagt Otto Cars, Professor für klinische Bakteriologie an der Universität Uppsala.

Das Resistenzproblem gebe es in der gesamten EU und jeder vierte Einwohner sei bedroht, stellt die Studie fest. Alarmierend sei das Fehlen neuer wirksamer Arzneimittel. Seit Ende der 60er-Jahre wurden nur zwei neue Antibiotika-Klassen entwickelt und die Pipeline für neue Substanzen bei den Pharmafirmen sei „trocken“.

Zwar wird derzeit an 90 neuen Antibiotika geforscht, verglichen mit fast 900 neuen Krebsmedikamenten sind das jedoch relativ wenige.

Beunruhigend sei vor allem, so Cars, dass es gegen die derzeit am schnellsten wachsende Bedrohung, die ESBL-tragenden Darmbakterien, so gut wie keine Neuentwicklungen gebe. Diese Bakterien sind resistent gegen Lactam-Antibiotika, zu denen auch Penicillin gehört.

„Das Problem ist, dass die Pharmaindustrie nicht genug Ressourcen für diesen Bereich bereitstellt“, meint Schwedens Gesundheitsminister Göran Hägglund: „An Medikamenten für eine längerfristige Behandlung von Patienten lässt sich mehr verdienen als an Antibiotika.“ Da die Industrie versagt habe und die Antibiotika-Lücke nach Meinung von ForscherInnen vorwiegend ein Ressourcenproblem sei, müsse man diskutieren, ob ein Ausweg aus diesem Dilemma ein durch öffentliche Mittel gespeistes Finanzierungsmodell sein könne, um den Pharmakonzernen den fehlenden Profitanreiz zu geben. REINHARD WOLFF