Ende der Fahnenstange

FDP Auf ihrem Parteitag werden die Freidemokraten noch einmal ihre Erfolge als bloße Steuersenkungs-Partei auskosten. Nach der Wahl ist damit Schluss

■ ist Parlamentskorrespondent der taz. In Köln studierte er Mittlere und Neuere Geschichte, Anglo-Amerikanische Geschichte und Anglistik. Er ist Mitherausgeber des Buches „Wem gehört die Antarktis? Kinder fragen – Journalisten antworten“ (Beltz, 2009).

So unterschiedlich die Meinungen über Guido Westerwelle und die FDP auch sind, ist allen Beobachtern wohl eines gemein: Sie staunen angesichts des Erfolgs dieser seltsamen Partei und ihres allgegenwärtigen Vorsitzenden. Wie haben beide es bloß geschafft, seit dem Ende der Kohl-Ära eine in der Bundesrepublik beispiellose Siegesserie bei Landtags- und Kommunalwahlen einzufahren? Und wohin werden diese Partei und ihr Chef nach der Bundestagswahl steuern? Egal, wie die Wahl ausgeht: Der lange Aufstieg der FDP wird enden.

Westerwelle hat bislang – aus seiner Sicht – fast alles richtig gemacht. Seit Mitte der 90er-Jahre, als er FDP-Generalsekretär wurde, hat der Mann aus Bonn seine beträchtliche Energie darauf verwandt, die FDP vom Image der bloßen Mehrheitsbeschafferin für die CDU zu befreien. Ein eigenständiges Profil musste her, um der Bedeutungslosigkeit und dem Abwärtssog der immer träger werdenden Kohl-CDU zu entrinnen. Seither vertraut Westerwelle, der 2001 auch offiziell zum FDP-Chef aufstieg, auf einen „fast vulgären Steuersenkungsliberalismus“, wie es der Göttinger Politologe Franz Walter treffend genannt hat. Bürgerrechtspolitik, noch Anfang der 90er-Jahre ein wichtiger Teil des FDP-Selbstverständnisses, ist seither zum Randthema in der Partei geworden.

Der lange Aufstieg der FDP

Für das Heraufziehen des Fünfparteiensystems zeigten sich die Blaugelben dadurch bestens gerüstet. Konsequenter als andere hat Westerwelle die Freidemokraten auf Wiedererkennbarkeit in einer unübersichtlichen Parteienlandschaft getrimmt. FDP, das heißt heute „Mehr Netto vom Brutto“. Alles andere ist Verhandlungssache. Das bleibt hängen und wirkt auf viele Wähler gradlinig, ehrlich, kompromisslos. Dieses Selbstbild will Westerwelle auch auf dem FDP-Parteitag am kommenden Sonntag in die Welt tragen. Daran wird auch die oftmals viel pragmatischere Arbeit der Länderregierungen mit FDP-Beteiligung nichts ändern. Am 27. September könnte Westerwelles Partei ein letztes Mal mit dieser Doppelstrategie Erfolg haben. Noch ist die Bundestagswahl nicht entschieden. Aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Alle wahrscheinlichen Szenarien für die Zeit danach bergen große Nachteile für die FDP.

Da ist zum einen das Wunschszenario der FDP: eine schwarz-gelbe Koalition. Sie soll die versprochenen Steuersenkungen für Familien und Bezieher mittlerer Einkommen durchsetzen. Und das ausgerechnet in dem Moment, in dem die Folgen der tiefsten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik mit voller Wucht die sozialen Sicherungssysteme erreichen. Die FDP steckt in einem selbst verschuldeten Dilemma: Die Staatseinnahmen drohen massiv zurückzugehen, doch die Partei muss, um ihren „Markenkern“ nicht zu beschädigen, Steuersenkungen fordern und vorweisen. Deren Umsetzung erscheint aus heutiger Sicht unmöglich. Kurzum: Als Teil einer schwarz-gelben Koalition würde schnell der Lack abblättern von einer Westerwelle-FDP, die abseits von demonstrativem Staatsverdruss und Klientelpolitik wenig zu bieten hat. Viele Wechselwähler, die der Partei zu ihren glänzenden Wahlergebnissen verholfen haben, zögen sich da schnell enttäuscht von ihr zurück.

Auch wenn Westerwelle dies heute aus wahltaktischen Gründen abstreitet, könnte sich die FDP nach dem 27. September in einer Koalition mit SPD und Grünen wiederfinden. Zwar sind die Unterschiede zwischen den drei ungleichen Partnern groß, und wortreich hat der FDP-Parteichef immer wieder sein Ziel einer „bürgerlichen“ Koalition propagiert. Doch ausgeschlossen hat Westerwelle eine Ampelkoalition nie. Wie könnte er auch? Seit elf Jahren ist seine Partei von Sieg zu Sieg geeilt – und im Bund doch stets in der Opposition geblieben. Westerwelles Sehnsucht, Hans-Dietrich Genschers Nachfolge anzutreten, ist in den vergangenen Monaten durch gemeinsame Auftritte mit dem Ex-Außenminister immer deutlicher geworden. Ebenso der Wunsch der FDP, endlich wieder auf den als Heimat begriffenen Regierungsbänken Platz zu nehmen.

Endlich Genscher nachfolgen

Dies würde zu einer Zerreißprobe für die Partei, noch bevor die Regierungsarbeit beginnt. Zwischen Glaubwürdigkeit und Machtstreben muss Westerwelle einen für seine Anhänger glaubhaften Mittelweg finden. Das könnte ihm durchaus gelingen. Seine Stellung in der Partei ist unangefochten. Ebenbürtige Konkurrenten hat er nicht mehr, und die meisten Nachwuchshoffnungen sind Protegés Westerwelles. Doch ohne Kratzer am wirtschaftsliberalen Image von Partei und Parteichef ginge auch eine Ampelkoalition nicht ab.

Reicht es nicht für Schwarz-Gelb und kommt auch Rot-Gelb-Grün nicht zustande, bleibt der Gang in die Opposition. Das wäre der Fall, falls es zu einer Fortsetzung der schwarz-roten Koalition kommt. Wieder so eine zweischneidige Sache, die so gar nicht zum selbstgeschaffenen Gewinnerimage Westerwelles passt. Einerseits müsste die FDP fürchten, weitere vier Jahre machtlos zu bleiben. Andererseits könnten sich die Liberalen freuen, die hässlichen Sparprogramme nach der Wirtschaftskrise nicht selbst verantworten zu müssen. Steuersenkungen wären auch in dieser Konstellation nur im kleinen Maßstab drin.

FDP, das heißt heute „Mehr Netto vom Brutto“. Alles andere ist Verhandlungssache

Doch selbst der Verbleib in der Opposition garantiert der FDP nicht, dass sie weiter ihr Steuersenker-Image wie eine Fahne vor sich hertragen kann. Spätestens, wenn Schwarz-Gelb auch im vierten Anlauf seit 1998 eine absolute Mehrheit verfehlt, werden die Blaugelben umdenken müssen. Sie müssen mit ansehen, wie CDU und Grüne sich für gemeinsame Bündnisse öffnen. Grüne und SPD umgarnen die FDP, und dass Rot-Rot-Grün 2013 eine Koalition bilden könnte, bezweifelt kaum jemand. Es birgt schon eine gehörige Portion Ironie: Ausgerechnet jene Partei, die einst als erste begriffen hat, wie wichtig in einem Fünfparteiensystem Unverwechselbarkeit ist, hat eine andere Grundregel dieses Spiels am längsten ignoriert. Nämlich den Zwang, sich möglichst viele Koalitionsmöglichkeiten zu eröffnen.

Begreift Guido Westerwelle nicht diese Lektion, droht seine Partei wieder zu dem zu werden, was sie seit 15 Jahren nicht mehr sein will: eine bloße Mehrheitsbeschafferin für die CDU.

MATTHIAS LOHRE