Tusk erwartet neue Vorschläge

Die US-amerikanische Entscheidung, den Raketenabwehrschild auf Eis zu legen, stößt in Polen auf Enttäuschung und Kritik, aber auch Erleichterung und Freude. Wałęsa ist sehr verärgert

WARSCHAU taz | Polens Freiheitsheld und Exstaatspräsident Lech Wałęsa ist tief enttäuscht über die Amerikaner. Unfassbar erscheint ihm, dass die US-Regierung nun doch keinen Raketenabwehrschild mit Radaranlage und Abwehrraketen in Tschechien und Polen stationieren will. „Die Amerikaner haben sich immer nur um ihre Interessen gekümmert und alle anderen ausgenutzt“, sagte Wałęsa bitter dem polnischen Fernsehsender TVN24. „Wir Polen müssen nun unsere Sicht auf die USA überprüfen und mehr an unsere eigenen Interessen denken.“

Noch in der Nacht zum Donnerstag hatte der US-amerikanische Präsident Barack Obama versucht, die Premierminister Polens und Tschechiens anzurufen, aber nur Jan Fischer in Prag erreicht. Während die tschechische Regierung schon am nächsten Morgen verkündete, dass die Amerikaner den Raketenschild auf Eis gelegt hätten, war Warschau noch völlig ahnungslos. Zwar hatte es schon Wochen zuvor Zweifel an einer Fortführung des Prestigeprojekts von Präsident George W. Bush gegeben. So hatte Polens einflussreichste Tageszeitung, Gazeta Wyborcza, schon im August über die interne Entscheidung der US-Regierung berichtet.

Polens Premier Donald Tusk informierte kurz vor seinem Abflug nach Brüssel die polnische Öffentlichkeit trotzdem in aufgeräumter Stimmung: „Es handelt sich um eine autonome Entscheidung der Amerikaner“, so Tusk. Der US-amerikanische Präsident habe ihm in einem Telefongespräch am Nachmittag versichert, dass Polen auch in Zukunft in alle amerikanischen sicherheitspolitischen Planungen miteinbezogen werde. Weder die Politik Polens noch diejenige Russlands hätten einen Einfluss auf die Entscheidung gehabt, den Raketenabwehrschild auf Eis zu legen. Maßgebend seien allein militärische Überlegungen gewesen. Tusk habe den amerikanischen Präsidenten direkt gefragt, ob möglicherweise der Verhandlungsstil der Polen die Amerikaner verärgert habe oder die Regierung einen Fehler begangen habe, der zum Rückzug des Raketenschildes geführt habe. „Aber der Präsident versicherte mir, dass dies nicht der Fall ist.“

Während die meisten Oppositionspolitiker in Polen die liberalkonservative Regierung und Premier Donald Tusk persönlich dafür verantwortlich machen, dass die US-amerikanische Regierung nun doch keinen Raketenabwehrschild in Polen und Tschechien stationieren will, bekennt Mariusz Mariusz Chmiel, der Bürgermeister von Slupsk: „Ich bin heute wohl der glücklichste Mensch in Polen. Ich war von Anfang an der Meinung, dass der Bau der Raketenabwehranlage in der Gemeinde Redzikowo, in unmittelbarer Nähe einer Stadt mit 100.000 Einwohnern, ein großes Missverständnis war.“ Die geplante Anlage habe die Sicherheit der Menschen in der Region massiv gefährdet. Jetzt könne man auf dem Gelände, das den Amerikanern übergeben werden sollte, einen kleinen Flughafen und ein Gewerbegebiet bauen. Gabriele Lesser